Zakat - die gefallene Säule

Abdulhaqq Bewley über die Bedeutung der Zakat

 

"Verrichtet das Gebet und bezahlt die Zakat und gehorcht dem Gesandten, auf daß ihr Barmherzigkeit erlangt." (Qur'an 24:54 sowie 28 ähnliche Stellen)

"Die Männer und Frauen der Gläubigen sind einer des anderen Freund. Sie gebieten das Gute und verbieten das Falsche, sie verrichten das Gebet und bezahlen die Zakat und gehorchen Allah und Seinem Gesandten. Sie sind die Menschen, denen Allah gnädig sein wird. Allah ist allmaechtig, allweise." (Qur'an 9,72)

"Nimm Sadaqa von ihrem Besitz, um sie zu reinigen und zu läutern." (Qur'an 9,104)

"Die gesammelte Sadaqa ist für: die Armen, die Bedürftigen, diejenigen, die sie einziehen, für die, deren Herzen versöhnt werden sollen, für die Befreiung von Sklaven, für die Schuldner, für die Sache Allahs und für die Reisenden. Eine Vorschrift von Allah. Und Allah ist allwissend, allweise." (Qur'an 9,60)

"Islam gründet sich auf fünf Dinge: zu bezeugen, daß es keinen Gott gibt außer Allah und dass Muhammad der Gesandte Allahs ist, die Einrichtung des Gebetes, das Bezahlen der Zakat, die Hadsch und das Fasten des Ramadan."

Ibni Abbas sagte: "Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, sandte Mu'adh nach Yemen und sagte: "Rufe sie dazu auf, zu bezeugen, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß ich der Gesandte Allahs bin. Wenn sie euch darin gehorchen, dann sagt ihnen, dass Allah die fünf Gebete verpflichtend gemacht hat für jeden Tag und jede Nacht. Wenn sie dir darin gehorchen, so sage ihnen, daß Allah es ihnen zur Pflicht gemacht hat , daß ihnen von ihrem Besitz die Zakat genommen und diese ihren Armen gegeben  wird."

Ibni Umar berichtet, daß der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, sagte: "Mir ist befohlen worden, die Menschen zu bekämpfen, solange bis sie bezeugen, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Muhammad der Gesandte Allahs ist, bis das Gebet eingerichtet und die Zakat bezahlt ist. Wenn sie dies tun, so ist ihr Leben und ihr Besitz vor mir geschützt, außer den Rechten des Islam; und ihre Rechnung ist bei Allah." 

Die Ayats und Hadithe zur Zakat werden von jedem Muslim  akzeptiert. Kein Muslim leugnet die zentrale Rolle der Zakat im Islam als unverzichtbare Säule von gleicher Bedeutung wie das Gebet, deren Leugnung faktisch dem Unglauben gleichkommen würde.

Allah verknüpft das Gebet und die Zakat im Qur'an fast dreißigmal und die Mufassirun sagen, dies deute darauf hin, dass diese beiden Handlungen sich gegenseitig bedingen, das heisst, dass das Gebet nicht gültig ist, solange unser e Entrichtung der Zakat nicht  ordnungsgemäss vollzogen ist und umgekehrt. Trotz ihrer entscheidenden Bedeutung und nominellen Bestätigung durch die Menschen ist es jedoch vollkommen klar, dass die überwiegende Mehrheit der Muslime der Zakat nicht die Bedeutung geben, die ihr zukommt.

Natürlich begeifen die meisten Muslime, dass sie etwas, genannt Zakat, bezahlen müssen. Dennoch ist die Verwirrung um den Begriff der Zakat nicht unerheblich. Einige glauben ihrer Verpflichtung bereits gänzlich nachzukommen, indem s ie am Ende des Ramadan ihren Zakat al-Fitr bezahlen. Viel mehr Muslime wissen, dass die Zakat etwas mit der Bezahlung von zweieinhalb Prozent zu tun hat, die wenigsten jedoch wissen genau wovon. Eine grosse Zahl von Muslimen versucht sogar die Zakat zu be zahlen, allerdings auf eine normalerweise sehr zufällige Art und Weise. Oft wird die Zakat gar nur als obligatorischer Akt privater Wohlätigkeit betrachtet. Sicherlich verleiht man der korrekten Bezahlung der Zakat nicht die gleiche Bedeutung wi e der Gültigkeit der Gebete und viele achten überhaupt nicht darauf.

Für diese landläufige Missachtung der Zakat gibt es zunächst  verschiedene Gründe. Geschichtlich hatte Zakat immer eine klare rechtliche Grundlage und war daher nicht Gegenstand religiöser Auseinandersetzungen. Solange der Dar al-Islam eine vereinte politische Wirklichkeit darstellte, behielt die Zakat ihre wesentliche Rolle als Teil des wirtschaftlichen Gefüges der muslimischen Gesellschaft. Mit dem Fall des Kalifates jedoch ging ein Teil des Wissens um die Bedeutung der Zakat verloren. Die Zakat war tatsächlich einer der wesentlichsten Dinge, die verloren wurden.  Die neuen modernen "muslimischen" Staaten gründeten sich alle auf die ökonomischen und wirtschaftlichen Vorbilder der westlichen Verfassungen: ihre neuartigen säkularen Regierungen stellten sicher, dass der Islam ausschlie ßlich in den privaten Bereich der Menschen verbannt war. Dies nahm der Zakat unweigerlich ihren fiskalischen Status und verwandelte sie in eine Angelegenheit privater Frömmigkeit, die sie bis heute bestenfalls darstellt. Aber Zakat ist zweifell os eine öffentliche und politische Angelegenheit, keine private. Ihre Einnahme und Verteilung sind Angelegenheit der muslimischen Administration,  nicht der privaten Wohltätigkeit. Die Verbannung der Zakat als ein Phänomen des öffentlic hen Lebens ist in sich der politische Zerfall des Islam.

Zum besseren Verständnis der Bedeutung der Zakat muß man sich die   wichtigsten Ayats vergegenwärtigen. In einer der  Ayats aus der Sure At-Tawba, die oben angeführt wurde, sagt Allah, tabaraka wa ta'ala, zu Seinem Gesandten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren: "Nimm Sadaqa von ihrem Besitz, um sie zu reinigen und zu läutern." Das Wort "Sadaqa" erscheint im Qur'an sowohl im allgemeinen Sinn des wohltätigen Gebens, als auch in be stimmten Zusammenhängen mit der spezifischen Bedeutung der pflichtgemäßen Handlung der Zakat; die Mufassirun stimmen darin überein, dass diese Ayat sich auf die Zakat bezieht. Das Wesentliche dabei im Hinblick auf unsere Betrachtung ist der Gebrauch der imperativisch-auffordernden Form des Verbes "nehmen". Allah ta'ala befiehlt Seinem Gesandten, die Zakat von den Menschen zu nehmen.

Er hätte den Menschen befehlen können, sie zu geben, indem sie, allgemein verstande n, von dem geben, was sie haben. In diesem spezifischen Beispiel jedoch, wo es um Zakat geht, befiehlt Er, sie zu nehmen. Dieser Umstand ist für das richtige Verständnis der Zakat elementar.

Die Bestätigung, dass dies die allgemein akzeptierte Bedeutung dieses Ayat war, kann man der Tatsache entnehmen, dass jene Araber, die sich nach dem Tode des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, weigerten, die Zakat an Abu Bakr - möge Allah mit ihm zufrieden sein - zu bezahlen, dies mit dem Verweis auf dieses Ayat taten, indem sie sagten, dass darin in der Einzahl gesprochen werde und es deshalb nur auf den Propheten selbst bezogen sei und mit dessen Tode somit aufgehoben sei. Dies war natürlich Unsinn, da es viele Ayats gibt, die sich an den Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, wenden und durchaus von allgemeiner Bedeutung sind. Das Entscheidende hier ist die damals an erkannte Tatsache, dass Zakat nicht etwas ist, dass diejenigen, die es schulden, zu geben haben, sondern etwas, das von der Führung der Muslime genommen wird. 

Diese Erklärung wird ebenfalls durch die berühmten Worte des ersten Kalifs der Muslime an Umar ibn al-Khattab während oben erwähnter Begebenheit unterstrichen, als Umar ihm dazu riet, jene Stämme, die sich weigerten, die Zakat zu bezahlen, nicht zu bekämpfen. Abu Bakr sagte: "Bei Allah, ich werde jeden bekämpfen, der zwischen dem Gebet und der Zakat einen Unterschied macht. Zakat ist das Recht, das dem Vermögen zugeordnet ist. Bei Allah, wenn sie mir nu r eine Fussfessel vorenthalten, die sie dem Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, zu bezahlen pflegten, so  werde ich sie dafür bekämpfen!" Die wichtigen Worte dieses grossen Wortes sind für unseren Zusammenhang hier "mir...vorenthalten". Offensichtlich bezog sich Abu Bakr nicht auf sich selbst als Einzelnen, sondern sah sich als den politischen Führer der Muslime und indem er dies tat, zeigte er die unlösbare Verbindung zwischen Zakat und der Existenz muslimischer  Führung.

Diese Verbindung wird auch in der Hadith bestätigt, die oben angeführt ist, in der Ibn Abbas von Mu'adh berichtet, der in den Yemen geschickt wird. Die Instruktionen, die ihm der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, lauteten: "dass Allah es ihnen zur Pflicht gemacht hat, dass ihnen von ihrem Besitz die Zakat genommen und diese ihren Armen gegeben wird." Die Verwendung der Passivform "genommen wird... gegeben wird" bestätigt nachweislich die politische und öffentlich-rechtliche Natur der Institution der Zakat, sowohl was ihre Einnahme als auch was ihre Verteilung anbetrifft.

Es mag hier vielleicht der Einwand kommen, man lege auf diesen  Punkt zu viel Wert. Dies ist jedoch notwendig, da die organische Verbindung zwischen Zakat und muslimischer Führung so gut wie  völlig verloren gegangen ist. Es ist nicht so, dass die Zakat durch die muslimische Autorität eingesammelt und verteilt werden kann, sondern vielmehr ist es von Anfang an das unverzichtbare Charakteristikum der Zakat gewesen, dass diese Aktivitäten ausschlieslich der Autorität vorbehalten waren. Es gibt sicherlich einen Aspekt bei der Zakat, wonach sie einen individuellen Akt der   Anbetung Allahs darstellt, gemäss der bekannten Definition "das Geben als ein Akt der Frömmigkeit, des rechtlich festgesetzten Anteils des Vermögens  einer Person, der an jene Kategorien von Menschen verteilt wird, die Allah in Seinem Buch bestimmt hat"; sicherlich ist ihre Bezahlung eine Reinigung der Zahlenden und bedeutet eine Belohnung für sie in der Nächsten Welt, ebenso w ie ihr   Zurückhalten der Grund für eine schwere Bestrafung ist - im Unterschied zu anderen Formen der Anbetung ist die Zakat aber untrennbar mit der Führung der muslimischen Gemeinschaft verbunden.

Die Fiqh- Bücher aller Rechtsschulen, wie auch die Bücher der muslimischen Geschichte, belegen, dass diese Verbindung durch alle Jahrhunderte muslimischer Herrschaft bis in die heutige Zeit hinein als selbstverständlich angesehen wurde. Die zentral bestimmte  Einnahme und Verteilung wird in der gesamten traditionellen Literatur als das allgemein Übliche angesehen.  Imam al-Sarakhsi sagt in seinem Buch al-Mabsut: "Zakat ist ein Recht  Allahs und muss vom Führer oder von dessen Beauftragten eingesammelt und verteilt werden. Wenn jemand seine Zakat an jemand anderen bezahlt, so ist er damit nicht von seiner Verpflichtung zur Zakat befreit." 

Imam Malik sagt in der Muwatta:" Die Verteilung der Zakat geschieht gemäß des individuellen Urteils des ermächtigten Mannes. Es gibt für den Einnehmer der Zakat keinen festgesetzten Anteil, ausser dem, was der Führer der Muslime als angemessen befindet."  Dies sind lediglich zwei stellvertretende Beispiele von buchstäblich tausenden von möglichen anderen Belegen dieser Art. 

Aus allem geht klar hervor, dass die Einnahme und Verteilung der Zakat von Anfang an einen integralen und unabrennbaren Teil muslimischer Herrschaft und Öffentlichkeit darstellte. 

Alle anderen Säulen des Islam haben ebenfalls ein Bindeglied, dass sie auf die Notwendigkeit von Autorität verweist: die Shahadatayn durch ihre ausdrücklich bestätigende Anerkennung der Autorität muslimischer Herrschaft; d as Gebet durch die offizielle Bestimmung  von Khatibs, die das Jumu'a Gebet leiten; das Fasten des Ramadan durch seine offizielle Verkündung seines Beginns und Endes; sowie  die Hadsch für ihre ernannten Führer.

Obwohl all diese Riten von Muslimen durchgeführt werden können, die nicht durch die Scharia regiert werden - wie dies die gegenwärtige Säkularisierung der muslimischen Welt notwendig macht - so macht sich dessen ungeachtet das Fehlen einer anerkannten muslimischen Autorität am Beginn und Ende eines jeden Ramadan natürlich schmerzlich bemerkbar.  Allein im Falle der Zakat besteht diese Möglichkeit des Vollzugs ohne islamische Autorität nicht. Die Zakat kann von aktiver muslimischer Autorität gerade nicht getrennt werden.

Sobald die wesentliche Verbindung zwischen Zakat und Autorität durchtrennt wurde, so bedeutete dies, gemäss dem Verständnis der Muslime durch die gesamte Geschichte des Islam hindurch, dass diese Säule des Islam gefallen war. In den   gegenwärtigen Umständen kann jeder Einwand gegen die Bezahlung und Verteilung der Zakat nur eines bedeuten: man will diesen Einwand, der wohl kalkuliert ist, nutzen, um die Möglichkeit islamischer Autorität überhaupt in Frage zu stellen. Die Leugnung der wesentlichen Verbindung zwischen Zakat und zentraler muslimischer Herrschaft würde zwangsläufig bedeuten, daß der Charakter der Zakat weitab von ihrer Bestimmung als ursprüngliche Funktion und Praxis ver ändert worden ist.  Ein weiterer wesentlicher Faktor in der Aushöhlung der Zakat in der heutigen Zeit liegt in der Veränderung des   Wesens von Reichtum und Geld als solches, die sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten ereignet hat; dies steht wiederum in mehr als nur zufälliger Verbindung mit der Veränderung der politischen Situation der Muslime. Die Institutionder Zakat wurde ursprünglich angeordnet und bewegte sich im Rahmen der Parameter, die der Mensch als Reichtum jener natürlich en Faktoren verstand, die zu allen Zeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als Maßstab menschlichen Wohlstandes galten. Allah ta'ala beschreibt diese Dinge klar in der Sure Ali ÔImran, wenn Er sagt: "Den Menschen erscheint die Liebe nach weltl ichen Dingen in glühenden Farben: Frauen und Kinder und Haufen von Gold und Silber, und Pferde mit feiner Zeichnung, und Viehherden und fruchtbares Land. Dies ist die Freude des Lebens in dieser Welt." (Qur'an 3, 14). 

In jeder traditionellen menschlichen Gesellschaft mass sich Reichtum in Land, Vieh, sowie Gold und Silber, und es sind diese Dinge, auf die die Zakat, als eine Steuer auf überschüssiges Vermögen erhoben wird. Aus diesem Grund konzentrieren sich alle Texte zur Zakat naturgemäß auf diese Dinge. Sie behandeln die verschiedenen Typen landwirtschaftlicher Produktion und die verschiedenen Details der dazu gehörigen Zakat, einschliesslich der verschiedenen Faktoren,  des jeweiligen Produktes, der Menge, der Art des Landes und ob es bewässert wird oder nicht und viele weitere Faktoren. Diese wissenschaftlichen Texte gehen bis ins kleinste Detail beim Vieh, bestimmen genauestens, welche Tiere für die Zakat genommen w erden müssen, nachdem die Anzahl und das Alter der Tiere jeder  Herde betrachtet worden ist. Bei Gold und Silber bestimmen die Texte das exakte Gewicht dieser Metalle, auf das die Zakat fällig ist, ebenso wie sie klarstellen, dass es das Metall s elbst ist, dasbesteuert wird, ungeachtet seiner möglichen Form in Münzen, Barren, Nuggets oder Staub. Das einzige andere Ding, auf das die Zakat fällig ist, sind Handelswaren unter bestimmten Bedingungen; die Zakat darauf muss ebenfalls in Gold oder Silber bezahlt werden.  Das Problem hierbei ist, daß das allermeiste hiervon für das städtische Leben  von 90 % der Muslime der heutigen Welt nicht mehr viel Bedeutung hat. Weder besitzen sie Land, noch Vieh oder Gold und Silber. Der Grund hierfür lie gt in der Tatsache, dass die Menschen keinen Zugang mehr zu Reichtum in seiner natürlichen oder echten Form haben. Das Verständnis von Reichtum hat sich grundlegend gewandelt. 

Beginnend mit der Legalisierung des Wuchers in Europa im 16. Jahrhundert und beschleunigt durch das Wachstum des Bankenwesens und den ungehemmten Einsatz wucherischer Finanzinstrumente und ihrer Techniken seither, haben das Wesen der politischen Macht, des persönlichen Reichtums und des Geldes selbst im Verlauf der letzten drei Jahrhunderte eine vollkommene Umgestaltung erfahren. Echter Reichtum, d.h. der Besitz natürlicher Resourcen der Erde, befindet sich in immer weniger Händen, während die meisten Menschen es bestenfalls mit Symbolen des Reichtums in Form von Bankbilanzen, Aktienzertifikaten, Versicherungspolicen und anderen Finanzinstrumenten zu tun bekommen, deren Wirklichkeit sich heute auf Zahlen beschränkt, die el ektronisch von einem Computerschirm zum anderen flackern. Gleichzeitig ist das Geld vom früheren Gold und Silber zuerst zu Papier geworden, das diese Gold- und Silbermünzen repräsentierte, um dann einfach Papierscheine zu sein, deren Wert g änzlich den Launen der internationalen Spekulanten unterworfen ist.   Es besteht kein Zweifel daran und wäre ein Thema für sich zu zeigen, daß der Wucher jeden Aspekt des Finanzsystems durchdringt, das heute den gesamten Globus beherrscht, d.h. daß alle seine Instrumente und Institutionen - Pap iergeld, Kreditkarten, Wertpapiere, Börsen, Währungsumtausch - tatsächlich ebenfalls haram sind. Dies ist nicht der Ort, um dieses Thema, das genau untersucht worden ist und dessen Kenntnis für jeden Muslim von entscheidender Bedeutung ist, im  Detail zu behandeln. Eine Zeit lang konnten die Muslime unter dem Schutz der Scharia den Tentakeln der Wucherer entgehen; doch nachdem es zuerst in Ägypten durch die unheilvolle Allianz der Briten mit den modernen Muslimen und dann auch im H erzen des Kalifates in Istanbul dazu kam, dass die Muslime den Bankiers in die Falle gingen, gelangte die Souveränität der Muslime in die Hände der Finanziers, wo sie sich bis heute befindet. 

Zweifellos ist das weltweite Finanzsystem von zerstörerischer Wirkung auf die Muslime. Mit seiner Hilfe hat man den  Muslimen ihre politische Autonomie entrissen und den Islam aus den Geschäfts- und Einkaufstätigkeiten, die einen Gro ßteil des alltäglichen Lebens darstellen, entfernt. Es ist offensichtlich, dass es die wesentliche Bastion der Feinde des Islam darstellt; dort ist die Quelle ihrer falschen Macht und damit das Schlachtfeld, auf dem Allahs Din in dieser Zeit er neut zur Entfaltung gelangen kann. Im Falle der Zakat erkennen wir, wie sehr dieses Finanzsystem die Grundlagen des Islam erschüttert, indem es der überwiegenden Mehrheit der Muslime nicht gestattet, einer ihrer ursprünglichsten und grundlegendsten Verpflichtungen ihres Din korrekt nachzukommen.  Dies gelang durch die Veränderung des finanziellen Vermögens, indem Gold- und Silbermünzen durch Papierwährungen ersetzt worden sind. Wie wir gesehen haben, kann die Zakat auf finanzielles Vermögen nur in Gold und Silber b ezahlt werden. Da die Zakat unabhängig von der Form des Metalls fällig wird, folgt daraus zwingend, dass es das Metall selbst ist, das der Zakat unterworfen ist und nicht sein Geldwert. Dies wird weiterhin durch die traditionelle Behandlung des Fulus unterstrichen, das aus unedlem Metall bestand, und für kleinere  Transaktionen, bei denen man nur ein Bruchteil Gold oder Silber benötigte, verwendet wurde.

Besass jemand eine grosse Menge von Fulusmünzen, deren Summe einen Gesamtwert ergab, der den Nisab von Gold oder Silber erreichte, so war hierfür, laut Ansicht einiger "Ulama die Zakat in  Gold oder Silber zu bezahlen. Aber selbst wenn sie die zehnfache Menge des unedlen Metalles, aus dem der Fulus hergestellt wird, vorfanden, so erhoben sie darauf keine Zakat. In diesem Fall bedeutete dies, dass die betreffende Fulusmünze als eine Art Beleg angesehen wurde, gegen dessen Vorlage eine bestimmte Menge von Gold und Silber eingetauscht werden konnte. Andere Ulama betrachteten den Fulus einfach als numerische Marken, ohne einen Wert als solchen inne zu haben und hielten daran fest, dass - ungeachtet ihrer Menge - darauf keine Zakat zu bez ahlen war.   Papiergeld sollte im gleichen Licht gesehen werden. Ein grosser traditioneller ÔAlim, der Papiergeld als wertlose Scheine ansah, war der letzte grosse Shaykh al-Azhar, bevor die Briten in der Mitte des 19. Jahrhunderts diese grosse Lehr-Institutio n erfolgreich korumpierten: Shaykh ÔIllaysh. In einem Fatwa zu Grundstücksfragen sagte er zu diesem Thema:

"Ich wurde zu meiner Sicht des Sultan-Siegels (eine Art Papiergeld, das im Osmanischen Kalifat benutzt wurde) befragt, das als Dirhams und Dinars in Umlauf ist. Muss darauf Zakat bezahlt werden, als ob es Gold oder Silber oder Handelwaren w&a uml;ren, oder nicht ?  Ich erwiderte darauf:

Gelobt sei Allah und möge Segen und Frieden auf unserem Herrn Muhammad, dem Gesandten Allahs sein. Darauf ist keine  Zakat zu bezahlen, da diese auf Vieh, bestimmte Sorten von Getreide und Früchte, auf Gold, Silber, Warenumsatz und den Pr eis der gelagerten Güter begrenzt ist. Die erwähnten Gegenstände sind Teil der obigen Kategorien. Die Mudawwana stellt fest, dass: "Wer minderwertige Münzen bis zu einem Wert von zweihundert Dirhams ein Jahr lang besitzt, ist nich t dazu verpflichtet darauf Zakat zu bezahlen, es sei denn, sie stellen Warenumatz dar. In diesem Fall betrachtet man sie als Handelsware."

Nachdem er in Al-Tiraz Abu Hanifas und Ash-Shafi'is Zakaterhebung auf unedle Münzen erwähnt, da diese dem Wert der Sache den Vorzug gaben - obgleich Ash-Shafi'i zwei sich widersprechende Äusserungen dazu anführt - bekräfti gt er, dass die diesbezügliche Position des Madhabs darin besteht, dass es nicht verpflichtend ist,auf unedle Münzen Zakat zu bezahlen, da kein Zweifel an der Tatsache besteht, dass das Entscheidende bei unedlen Münzen nicht ihr Gewicht ode r ihre Menge, sondern ihr Wert ist. Wäre Zakat auf jederlei Substanz verpflichtend, so würde der Nisab nicht gemäss des jeweiligen Wertes festgesetzt, sondern entsprechend der Substanz und der Menge, wie dies z.B. bei Silber, Gold, Getreide und Früchten geschieht. Da die Substanz unedler Münzen minderwertig ist, werden sie, was die Zakat betrifft, wie Kupfer, Eisen oder ähnliche Substanzen behandelt. 

Und Allah, dem Lob und Anbetung zukommen, ist der Wissende.

Möge Allah unserem Herrn Muhammad und seiner Familie Frieden gewähren."

Daraus ergibt sich, dass laut Shaykh ÔIllaysh auf Papiergeld keine Zakat bezahlt werden sollte. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass zur Zeit der Verkündung dieses Fatwas die Scharia noch etabliert und Gold- und Silbermünzen in aus reichender Zahl in Umlauf waren.  Eine andere Betrachtungsweise des Papiergeldes, die der oben genannten des Fulus entspricht, führt das Papiergeld zu seinem anerkannten Ursprung als Repräsentanten von Gold und Silber zurück. Es wurde anfänglich als sogenanntes Bankiers-Geld in Form einer voll einlösbaren Quittung für eine bestimmte Menge von Gold und Silber herausgegeben. Anders gesagt konnte jede Banknote zur Bank zurückgebracht werden, die sie herausgegeben hat, und für die auf ihr angege bene Summe gegen Gold und Silber eingetauscht werden. Einige Banknoten lassen diese ursprüngliche Herkunft noch erkennen. Man findet auf ihnen beispielsweise Worte wie "I promise to pay the bearer" -hiermit wird dem Halter dieser Note ausgezahlt; aufgedruckt. So gesehen sind Banknoten tatsächlich die Quittung einer Schuld - die Bank schuldet dem Besitzer dieser Banknote den darauf gedruckten Betrag. Dies ist natürlich ein weiterer Beleg dafür, dass Papiergeld haram ist, denn in nerhalb der Scharia kann man Schulden nur unter sehr spezifischen und eingeschränkten Umständen weitergeben.

Aus der Sicht von Shaykh AIllaysh und seinesgleichen wäre der einzig mögliche Weg, die Zakat von Papiergeld zu nehmen, wenn man das Material selbst wie eine Ware ansähe, d.h. als Altpapier; der Betrag, den man für den Nisab der Zakat benötigen würde, lässt dies aber von vornherein ausscheiden. Wird Papiergeld darüberhinaus als Schuld angesehen, so gelangt man unweigerlich in den Bereich der  Zakat. In diesem Fall steht alles Papiergeld, das man besitzt, für den Besitz von Gold oder Silber, das momentan nur von jemand anderem gehalten wird. Die Autorität, die das Papiergeld herausgibt, schuldet dem Halter den Betrag an Gold oder Silber, der auf der Note   angegeben ist.

Schulden, deren Begleichung man erwartet sind zakatpflichtig; erreicht also der Betrag des Papiergeldes, das man besitzt, den Nisab und verbleibt dort für ein Jahr oder mehr, so muss man dafür Zakat bezahlen, obwohl sie hier tatsäch lich für eine nichtbezahlte Schuld, einen Aussenstand, bezahlt werden muss. Die Zakat darf jedoch nur in Gold oder Silber bezahltwerden; es ist nicht gestattet, die Zakat in Form einer unbezahlten Schuld zu bezahlen. In dieser Situation ist der einzige Weg, Zakat zu bezahlen, einen Teil des Papiergeldes, das man besitzt, in den jeweiligen Betrag von Gold oder Silber einzutauschen, den man benötigt, um seiner Verpflichtung nachzukommen.   Aus alledem wird klar, dass das gegenwärtige die Welt beherrschende Kafir-Wirtschaftssystem des Banken-Kapitalismus die Säule der Zakat zerstört hat.   Dies geschah teilweise deshalb, weil es alle ökonomischen Transaktionen in den Bereich des Haramen abgedrängt hat,  indem es sie in ein unauflösbares wucherisches Netz verstrickt hat, dem man gegenwärtig nicht entfliehen kann. Aber es hat dies noch unmittelbarer erreicht, indem es das Wesen von Vermögen  neu definiert und das Geld selbst verändert hat, was die Muslime  davon abhält, ihre Zakat in Übereinstimmung mit den Bedingungen der Scharia zu bezahlen.

(wird fortgesetzt)

Islamische Zeitung, 25. Ausgabe

@ Ekrem Yolcu

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