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Brücken bauen zwischen Schule, Elternhaus, Gemeinde und Gesellschaft als wichtige Aufgabe der Korandidaktik

 

Dr. phil. Milena Azize Rampoldi

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In der zeitgenössischen Pädagogik und Didaktik wird das Thema der Vernetzung von Elternhaus, Schule, Gemeinde und Gesellschaft immer bedeutender, da der Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Akteuren der Erziehung des Kindes einen bedeutenden Beitrag zu seiner emotionalen, psychischen, sozialen und auch religiösen Entwicklung und Identität leisten kann.

Dies soll auch für die Korankurse gelten, die sich wie alle anderen pädagogischen Angebote im Mittelpunkt eines komplexen Netzwerkes befinden und somit auch zur allumfassenden Erziehung der Kinder und Jugendlichen beitragen. Die Vernetzung im Erziehungsbereich ist in der deutschen Gesellschaft heute vor allem auch wichtig, um eine Kultur der Toleranz und des gegenseitigen Respektes zwischen den Kulturen und Religionen aufzubauen, zu der auch die Koranschule ihren aktiven Beitrag leisten kann und soll.

 

Dieses Netzwerk besteht aber vor allem aus Forderungen an den Koranunterricht und die LehrerInnen, die manchmal auch unter Druck stehen, weil sie die Vernetzung als Pflicht anstatt als Entwicklungschance für ihre eigene Schule und die Lernenden sehen. Die muslimische Gemeinde fordert gewisse Korankenntnisse der Kinder, die Eltern möchten die Ergebnisse des Unterrichts sehen. Die deutsche Schule und Gesellschaft wünschen sich wiederum die Integration der muslimischen Kinder in den deutschen Alltag und das soziale Leben im Lande, um die Herausbildung von Parallelgesellschaften zu vermeiden. Die KoranlehrerInnen sehen somit die Vernetzung als einen Aufgabenkatalog und fühlen sich überfordert.

 

Daher sollte das Vernetzungskonzept meiner Meinung nach positiver, dynamischer und vor allem auch interaktiver gestaltet werden: Die LehrerInnen sollten nicht zu lehren müssen, sondern auch vom Netzwerk lernen dürfen. Wie das Kind dank der Vernetzung von Elternhaus, Schule, Gemeinde und Gesellschaft mehr lernen kann, so gilt dies auch für die KoranlehrerInnen und die Eltern.

 

Der ständige Informationsaustausch, der sich vorwiegend zwischen Elternhaus, Schule und Gemeinde abspielt, verbessert den Koranunterricht, gibt auch neue Impulse an die Schule und Gemeinde und trägt beträchtlich zum Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen bei und darf somit nicht als Stressfaktor angesehen werden.

Die Rolle der Koranlehrerin bzw. des Koranlehrers gestaltet sich komplex, stellt aber meiner Meinung nach gerade deshalb eine große Herausforderung dar. Denn die KoranlehrerInnen befinden sich in einem dialektischen Spannungsfeld: einerseits sollen sie Koranarabisch und Rezitationsregeln, religiöse Haltung und islamische Grundprinzipien vermitteln, andererseits sind sie aber auch mitverantwortlich für die gelungene Integration der muslimischen Kinder in die deutsche Schule und Gesellschaft, weil sie interkulturelle Dialogfähigkeit, soziale und religiöse Toleranz und Konfliktlösungsbereitschaft übermitteln müssen. Starke islamische Identität und gleichzeitig Empathie und Toleranz gegenüber den Andersgläubigen und den anderen Kulturen werden den Kindern auch abverlangt. 

 

Zentral ist meiner Meinung nach in dieser Hinsicht vor allem die Vernetzung von Schule und Elternhaus, auf deren Grundlage sich dann auch die anderen Vernetzungsmöglichkeiten gestalten lassen. Auf der Grundlage der pädagogischen Analysen von Renate Hendricks in Schicksal Schule. Eine Elternstreitschrift im Interesse der Kinder ist es meiner Meinung möglich, die wichtigsten Leitlinien für einen guten Austausch zwischen KoranlehrerIn und Eltern kurz zu beschreiben. Die Elternarbeit des Lehrers/der Lehrerin kann nur positiv bei den Eltern der Kinder ankommen, wenn sie demokratisch erfolgt und keine Alibiveranstaltung ist. Die Elternarbeit muss alle Eltern erreichen. Auch Eltern, die scheinbar nicht an der Schule und am Unterricht ihrer Kinder interessiert sind, sollen in ihrer Rolle als UnterstützerInnen für das Kind von Seiten des Koranlehrers/der Koranlehrerin ernst genommen werden. Nur so kann ein Elternteil auch verstehen, dass es in der Schule gebraucht wird, um das Kind zu fördern. Dies sollte der Koranlehrer/die Koranlehrerin dem Elternteil vermitteln, vor allem, wenn es seine wesentliche Bedeutung als VermittlerIn zwischen Schule, LehrerIn und Kind noch nicht kennt.

 

Eine gute Elternarbeit setzt im Wesentlichen voraus, dass sich die Eltern im Korankurs jederzeit willkommen fühlen und auch wissen, dass die Schule und die LehrerInnen das Beste für das Kind wollen, indem sie es vor allem fördern, mehr als von ihm nur Leistungen zu fordern. Der Koranlehrer/die Koranlehrerin soll vor allem den Eltern vermitteln, dass jedes Kind individuell und nach seinem persönlichen Lernstil gefördert wird.

 

Im negativen Sinne sollte man sich wiederum fragen, woran die Elternarbeit in einem Korankurs scheitern kann und welche Fehler der Lehrer/die Lehrerin begehen könnte. Ich denke, dass die größten Mängel in dieser Hinsicht gerade durch die fehlende LehrerInnenausbildung verursacht werden. Der Lehrer/die Lehrerin bevorzugt meistens den Bezug zur Gemeinde, Gesellschaft und Schule und vernachlässig demzufolge die Beziehung zu den Eltern der Kinder, die einfach ausgeschlossen werden, wenn sie sich nicht aktiv melden.

 

Der Koranlehrer/die Koranlehrerin sollte den Dialog mit den Eltern auf jeden Fall suchen und nicht nur defizitorientiert mit ihnen kommunizieren, falls das Kind im Unterricht nicht ausreichend mitarbeitet oder keine guten Ergebnisse erzielt. Nur so können die Eltern auch ein Vertrauensverhältnis zum Koranlehrer bzw. der Koranlehrerin aufbauen, weil sie wissen, dass ihr Kind auch Begabungen hat und sie nicht nur kontaktiert werden, weil es im Unterricht unzureichende Leistungen erbringt oder disziplinäre Probleme hat.

 

Die Hauptziele der Elternarbeit sollten darin bestehen, dass alle Eltern an der Entwicklung des Kindes im Korankurs Interesse zeigen und gemeinsam mit dem Koranlehrer/der Koranlehrerin Erziehungs- und Bildungsziele ausarbeiten. Hier erfolgt auch ein didaktischer Austausch zwischen den Eltern, die aus verschiedenen Herkunftsländern stammen und wahrscheinlich auch als Kinder die Koranschule besucht haben und darüber berichten können.

Im positiven Sinne entwickelt sich meiner Meinung nach im Laufe der ersten Monate schon ein Klima des Dialogs, des Hinhörens und der Kooperation zwischen den LehrerInnen und dem Elternhaus.

 

Dieselben Grundsätze, die im Bereich der Elternarbeit Anwendung finden, lassen sich dann auf das gesamte Netzwerk übertragen. Die Beziehung zwischen Lehrern/Lehrerinnen und Eltern ist wie eine Werkstatt für die Gestaltung der gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen.

 

Somit wird in dieser Vernetzungsarbeit Folgendes klar: Es geht nicht nur um die pädagogische Förderung und Integration der muslimischen Kinder, sondern auch und vor allem um eine entsprechende Gesamtausrichtung des schulischen Unterrichts und der außerschulischen Erziehung, durch die Kinder aus verschiedenen Kulturen und Religionen dazu befähigt werden, einander mit Verständnis und Offenheit zu begegnen. Diese Offenheit und Dialogbereitschaft  sollten sich somit nicht nur im Korankurs oder in der Schule verwirklichen, sondern auch in den weiteren Kreisen der muslimischen Gemeinde und in der gesamten deutschen Gesellschaft.

  

@ Ekrem Yolcu



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