Hintergrund: Thomas Carlyle und der Prophet Über den großen schottischen Dichter und seine Verehrung des Gesandten
Allahs
Thomas Carlyle (1795-1881), wurde als zweiter Sohn von James Carlyle in Ecclefechan,
Dumfriesshire in Schottland, geboren und war Historiker, Schriftsteller und Essayist. Sein
Vater war ein tief religiöser Mann, ein überzeugter Calvinist und sein Charakter und
seine Lebensweise hatten auf seinen berühmten Sohn einen bleibenden Einfluss.
Als Jugendlicher besuchte er die Dorfschule in Ecclefechan. Danach ging er in die Annan
Academy, wo er eine unglücklich Zeit verbrachte und oft aneckte. Danach studierte er an
der Universität von Edinburgh. Er war ein tief religiöser Mann, sein Vater hoffte er
würde ein Pfarrer, Thomas wurde jedoch immer unsicherer, was diesen Plan anbetraf. Seine
Neigung galt der Mathematik, die er dann als Lehrer unterrichtete. Bald wurde ihm der
Unterricht jedoch unmöglich, er kehrte 1819 an die Universität von Edinburgh zurück, um
dort Recht zu studieren. Erneut ergriff ihn jedoch Unzufriedenheit, er wurde immer
bedrückter und einsamer. Während dieser Zeit war er arm, vereinsamt und sich seiner
inneren geistigen Spannungen bewusst. 1821 erfuhr er eine Art religiöser Erneuerung, die
persönliche Erfahrung von Taqwa. In dieser Zeit erlernte er die deutsche Sprache und die
deutsche Philosophie und übersetzte Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre.
1826 heiratete er Jane Welsh, der er ein schwieriger, reizbarer Mann gewesen sein soll,
denn obwohl sie einander herzlich zugetan waren und sich achteten, war ihr Leben voller
Streitereien und Missverständnisse. Er war regelmäßiger Mitarbeiter der Edinburgh
Review und schrieb Sartor Resartus, eine merkwürdige Mischung aus Autobiographie und
deutscher Philosophie. Das Hauptthema dieses Buches lautete: Die althergebrachten
geistigen Formen der tiefsten Überzeugungen der Menschen seien tot, weswegen man neue
Formen für die heutige Zeit finden müsse.
Nachdem er keine aussichtsreiche Anstellung gefunden hatte, zog er 1834 nach London, wo
eine Zeit großer finanzieller Unsicherheit für ihn begann. Ein Jahr lang lebte das Paar
von seinen Ersparnissen, während er sein ehrgeiziges Werk über die Französische
Revolution verfasste. Carlyle sah die Französische Revolution als unvermeidliche Folge
der Torheit und Selbstgewissheit der Monarchie an. Nach Beendigung des Manuskriptes lieh
er es dem Philosophen John Stuart Mill, wo es jedoch in einem Feuer zerstört wurde.
Obwohl dies für ihn ein enormer Schlag war, entschloss er sich dieses Werk erneut zu
schreiben und beendete es 1837. Das Buch brachte ihm schließlich deutliche Anerkennung
und populären Erfolg ein, der auch zu zahlreichen Vortragsverpflichtungen führte.
Finanzielle Sicherheit stellte sich ein. 1840 veröffentlichte er seine Schrift Chartrismus,
in der er sich als erbitterter Gegner konventioneller Wirtschaftstheorien erwies.
1841 erschien sein großes Werk Über Helden, Heldenverehrung und das Heldische in
der Geschichte. Darin verlieh er seiner calvinistischen Verehrung der Stärke
Ausdruck, besonders wenn sie im Zusammenhang mit Reinheit, Aufrichtigkeit und der
Gewissheit einer gottgegebenen Mission auftritt. Er untersucht darin die Entwicklung des
Bildes vom Helden, seit den heidnischen Mythen, die Helden als Götter verehrten, bis hin
zu jenen, die Helden als Propheten, Dichter, Literaten, Priester und Könige verehrten.
Als Dichter hatte er Dante und Shakespeare gewählt, als Geistliche Luther und Knox, die
Literaten waren Johnson und Burns, die Könige Cromwell und Napoleon.
Interessanterweise wählte er unter allen möglichen Propheten Muhammad, den Propheten des
Islam, möge Allah ihm Frieden geben, als den besten Vertreter seiner Art.
Carlyle hatte oft Schwierigkeiten mit seinen Zeitgenossen. Bei ihnen empfand er oft einen
Mangel an Konsequenz. Sein calvinistischer Hintergrund erfüllte ihn mit dem aufrichtigen
Streben, das Schlechte und Schwache in sich selbst zu überwinden.
Die Stärke Muhammads, sowie seine unbedingte Hingabe an Gott, ebenso wie seine Religion,
die sich nicht auf eine Mythologie gründet, sondern sich im Einklang mit natürlichem und
wissenschaftlichem Verstand befindet und eine disziplinierte persönliche Glaubenspraxis
anbietet, verfehlten nicht ihre Anziehung auf Carlyle auszuüben. Seine Betrachtung des
Propheten des Islam, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, gewährt uns eine
faszinierende Einsicht in die ernste Gedankenwelt eines Mannes, der auf seine Art an die
Schwelle des Islam gelangt war, der diesen Schritt sogar hätte gehen können, wären die
Hilfsmittel, mit denen er den Quran studierte, nicht so mangelhaft
gewesen. Leider verstand er kein Arabisch und beging den ebenso verständlichen wie
folgenschweren Fehler, sein Urteil auf die Übersetzungen des Qurans zu gründen,
die ihm zur Verfügung standen und die er als hinreichend und getreu akzeptierte. Bei der
Lektüre Carlyles werden muslimische Leser, manchen seiner für sie schwer
nachvollziehbaren Ansichten über den Quran zum Trotz, feststellen, dass er dem
Islam, den Muslimen allgemein und insbesondere dem Propheten eine große Hochachtung
entgegenbrachte. Wenn wir seine Gedanken über den Islam heute lesen, so erkennen wir, wie
sehr sich das westliche Bild des Islam seit Carlyles Tagen verändert hat. Nur wenige
Heutige unterstellen dem Islam aus Unwissenheit Dinge, die zu Carlyles Zeit noch üblich
waren.
Carlyle war das, was wir heute einen Orientalisten nennen würden: Trotz seines tiefen
Respekts und seiner Hochachtung für den Islam, sah er ihn nichtsdestotrotz immer mit den
Augen eines Christen, das heißt als dem Christentum unterlegen an. Dass ein Christ seinen
Glauben verlassen und in den Islam eintreten könne, war ihm noch undenkbar. Dies erklärt
die starken geistigen Spannungen, die ein Geist seines Formates zu ertragen hatte, der
gleichzeitig zu derartig positiven Einsichten über den Propheten gelangen konnte.
Unaufhörlich betont Carlyle die Wahrheiten des Islam, die überlegene Glaubensgewissheit
und Lebensführung, seinen hohen moralischen Anspruch, seine tiefen Einsichten usw.
Zu Carlyles Zeit waren nicht nur die bekannten westlichen Stereotype über den Orient
vorherrschend: Dem typisch dekadenten, verweichlichten Orientalen stand andererseits der
edle Wüstenbeduine gegenüber, dessen Gastfreundschaft und Freiheitsdrang man bewunderte.
Er blieb jedoch der Andere, der Fremde, dem sich nur wenige abenteuerliche oder
vermögende Europäer tatsächlich nähern konnten.
Als ungewöhnliches Kind seiner Zeit schönt Carlyle zumindest an keiner Stelle sein
aufrichtiges Bild des Islam. Dies muss man ihm zugute halten. Der Islam ist bei ihm nicht
etwa die letztgültige Botschaft Gottes an die Menschen, sondern die raue, schlichte
Botschaft eines analphabetischen, beinahe wilden Einzelnen, der ihm jedoch
aufrichtig und bewundernswert erschien. Er schrieb immer in der Annahme, dass seine Leser
niemals in Gefahr stünden zu Mohammedanern zu werden.
Vor diesem zeittypischen geistigen Hintergrund, dem auch Carlyle sich nicht entziehen
konnte, erscheint es umso erstaunlicher, dass er sich der landläufigen konventionellen
christlichen Verleumdung des Propheten, Allah segne ihn und gebe ihm Frieden, als
Anti-Christen usw. nicht anschloss, ja dieser charaktervoll widersprach. Trotz aller
zeitbedingten Hindernisse und der vehementen Gegnerschaft seiner Zeit zum Islam, konnte er
im Propheten Muhammad und in seiner Botschaft nur Gutes erkennen.
Die Eigenschaften eines unerschrockenen Calvinisten, der sich um die Meinungen seiner
Zeitgenossen nicht kümmerte, sondern nach Wahrheit und einer ehrenhaften,
gottesfürchtigen Lebensführung strebte, schützten ihn vor der haltlosen Kritik vieler
Nichtmuslime. Carlyle war zweifellos davon überzeugt, dass der Prophet ein aufrichtiger
Mann war, ohne die geringste Spur von persönlicher Motivation oder Falschheit. Ein
falscher Mann gründete eine Religion? Wie soll das gehen, wo doch kein falscher Mann auch
nur ein Steinhaus bauen kann! Sein Haus würde sicherlich keine vierzehn
Jahrhunderte stehen bleiben, sondern wäre längst verfallen.
Was Carlyle über den Propheten wusste, das gab er auf eine sehr positive, klare und faire
Art und Weise wieder. Seine Beschreibung der äußeren Erscheinung des Propheten, sein
Leben und seine Ehe mit Khadidscha sind auf anrührende Weise gelungen. Wenn Carlyle den
Islam an anderer Stelle gar ein verschnittenes Christentum, aber von lebendiger Art
nennt, so darf man diese Aussage nicht etwa als Beleidigung des Islam sehen, sondern muss
es vor dem Hintergund der aggressiven und selbstsicheren Attitude des Christentums seines
Jahrhunderts geradezu als Lob auffassen! Seine höchste Anerkennung des Islam sprach
Carlyle mit den Worten aus, wonach Islam die eigentliche Seele des Christentums
sei.
Und genau dies ist, was heutige Christen, die zum Islam konvertieren, empfinden. Sie
empfinden sich nicht als Verräter des Christentums, sondern erkennen, dass der Islam das
lehrt, was das Christentum eigentlich lehren sollte. Wenn diese neuen Muslime dann das
Evangelium studieren, erkennen sie, das der Islam tatsächlich das ist, was Jesus, Friede
sei mit ihm, in Wahrheit gelehrt hatte. Carlyle sagte: Den Glauben Mohammeds nennen
wir eine Art Christentum
ein besseres als das, jener erbärmlichen syrischen Sekten
mit ihrem Geplapper! Die missratene Salesche Übersetzung des Quran, die
ihm zur Verfügung stand, konnte er nicht mit Gewinn lesen. Die Lektüre war ihm eine
schwere Pflichtübung: eine der mühevollsten Lektüren, die ich je unternahm.
Er kommt zu Aussagen über den Quran, die bedrückend falsch sind. Der empörte
muslimische Leser mag sich jedoch vielleicht an seine eigene, frühe Leseerfahrung mit
einer mangelhaften Übersetzung des Quran erinnern, um Carlyle in diesem Punkt zu
verstehen.
Im Jahre 1865 wurde Carlyle das Rektorat der Universität von Edinburgh angetragen, wo er
bald zum Inbegriff eines hohen moralischen Anspruchs wurde. Der plötzliche Tod seiner
Frau war ein Schlag, von dem er sich nie mehr erholen sollte. Es waren ihm 15 weitere
Lebensjahre gegeben, in denen sein Leben weitgehend zurückgezogen ausklang. Er schrieb
noch Die frühen Könige Norwegens, Essay zu einem Porträt von John
Knox und seine Erinnerungen. Schließlich edierte und veröffentlichte
er die Briefe seiner Frau. Als er starb schlug man vor, ihn in der Westminster Abtei zu
bestatten, seinem eigenen Wunsch gemäß ruht er jedoch neben seinen Eltern in
Ecclefechan. o
Quelle: Islamische Zeitung
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