Die Commerzbank entdeckt den Muslim als Kunden. Bankingwird ab sofort
auch religiös.
Am Ende des diesjährigen Ramadans gab der Pressesprecher der Zentrale der Commerzbank,
Peter Pietsch, bekannt, man werde, in Zusammenarbeit mit einer irischen und einer
saudischen Bank, den sogenannten AlSukoor - European Equity Fund in
spätestens einem halben Jahr auf den Markt bringen. Der Banksprecher, mit Schweißperlen
auf der Stirn, kündigte eine Offensive auf den Muslim als Kunden an.
Der Fond, der von Irland aus vertrieben wird, soll Kapitaleigner der muslimischen Welt
gewinnen, aber auch die Muslime in Westeuropa und den USA, die ihr Geld in die
mittlerweile auch bei uns beliebt gewordenen Investmentgesellschaften transferieren
wollen.
Der Investmentfond enthalte die führenden Werte der europäischen Aktienmärkte, werde
aber durch sein sogenanntes Sharia Board - u.a. mit Dr. Youssef
al-Qardawi besetzt - überwacht. Viele Muslime konnten kaum ihre Begeisterung verhehlen -
Banking wird jetzt ganz bequem religiös. Zwar bietet die Commerzbank noch keine
Gebetsnische an, man lockt aber mit anderern Werten. Man werde, so ein
Commerzbank-Sprecher, nur in diejenigen Unternehmen investieren, die nicht aus
Bereichen stammen wie z.B. der Waffenindustrie, der Tabakindustrie, Brauereien etc.
Ein sogenanntes Sharia Board soll überprüfen, inwiefern das
Unternehmen auf Zinsen beruhe oder verschuldet sei. Der Streit über den Marketinggag der
Bank ist inzwischen voll entbrannt. Bisher waren Muslime gegenüber Banken eher
zurückhaltend. Dies soll sich schnell ändern.
Dennoch: einige muslimische Gelehrte haben deutlich gemacht, daß solche von Banken und
Aktienmärkten abhängige Strukturen dem eigentlichen islamischen Ethos einer auf Handel
und Produktion basierenden Ökonomie widersprechen. Kurzum: es gibt nichts Wahres im
Falschen. Banken, so sagen viele Gelehrte, können nicht islamisiert werden,
genauso wenig, wie Schweinefleisch halal gemacht werden kann.
So argumentiert beispielsweise auch Dr. Asadullah Yate und schreibt in einer
ausführlichen Stellungnahme unter anderem: In seinem Werk fi Hukm al-Amwal
adh-Dhulama macht Ibn Ruschd deutlich, daß im Falle eines Beutels voller
Goldmünzen schon die illegale Herkunft einiger weniger Münzen die gesamte Menge der
Münzen befleckt. Wenn schon die damaligen Gelehrten sich große Sorgen um die
metaphysische Beschaffenheit des Goldes machten, wie vorsichtig müssen wir dann bei
denjenigen Transaktionen sein, die keinerlei konkrete Grundlage innerhalb der Schariah
haben und auf Papiergeldwährungen beruhen. Banken sind krebsartige Gewächse, dritte
Parteien in einem eigentlich zweiteiligen Handelssystem. Der Prophet, Friede und Segen
Allahs auf ihm, hat uns befohlen, nach dem Äußeren zu urteilen: Wenn wir in eine Bank
gehen, gibt es keine Waren zum Kauf. Eher ist dieser Ort voller Leute, die vor Maschinen
sitzen, wie Spieler in Las Vegas. Das Ergebnis ist verheerend, die Banken verdienen am
Verlust der einfachen Leute - durch Inflation. Eigentlich geben sie uns Stücke von Papier
oder Plastik mit Nummern aufgedruckt, und wir geben ihnen unsere Waren, Arbeit oder Zeit.
Dies wird umso deutlicher in Afrika oder Asien, wo Rohstoffe in elektronische Dollar
eingetauscht werden. Es kann nicht genug betont werden, daß beim Handel mit einer
verbotenen Ware unsere gesamten Transaktionen betroffen sind. Können wir wirklich
annehmen, daß die Nichtmuslime sogenannte Halal-Banken bzw. Halal-Anlagefonds
gründen und damit unser Bestes im Sinn haben? Diese Schaikhs sind unglücklicherweise
Opfer der falschen Lehren der modernistischen Schriften (oft selbst finanziert und
veröffentlicht von Banken) geworden. Diese Modernisten behaupteten, es gebe einen
Unterschied zwischen Riba und Zinsen (im Arabischen Faida) und erlauben
letzteres unter bestimmten Bedingungen. Es kann unter uns keine Frage darüber geben:
Allah hat dem Wucher den Krieg erklärt (siehe Sura al-Baqara). Die klassische Definition
von Riba ist jeder Zuwachs innerhalb einer einzelnen Transaktion zwischen zwei
Parteien. Es wäre z.B. Riba, ein Pferd gegen ein Hemd einzutauschen, da beide Waren
nicht gleichwertig sind (siehe Ibn Ruschd, Bidaja al-Mudjtahid). Erinnern wir uns, im
Arabischen ist kaufen und verkaufen das gleiche Wort und basiert auf der Wurzel Bai,
und bezieht sich auf einen gerechten Vertrag zwischen zwei Partnern. Ist
dieses klassische Wissen der Muslime altmodisch oder schlicht zeitlos? Können Muslime dem
Dollar vertrauen?
Der sogenannte moderne Islam hat heute die Tendenz, das gesellschaftliche Modell des
Westens zu übernehmen und begrifflich zu überarbeiten. Islamische Bank, islamischer
Staat, islamische Partei - gibt es aber so etwas wie ein eigenes gesellschaftliches Modell
der Muslime? Nach Ansicht vieler im Westen ausgebildeten Ulama oft nicht. Für sie ist das
islamische Banking ein wichtiges Zeichen, modern zu sein. In einer
modernen Welt können auch die Weltreligionen sich dem Banking nicht in den
Weg stellen. Weltbank, Weltstaat, Weltgeld, Weltreligion - der Logik der Globalisierung
lässt sicht nur schwer klassisches Wissen entgegensetzen. Sich eine Gesellschaft ohne
Banken vorzustellen, setzt einen daher auch unter Muslimen oft dem Verdacht aus, man wolle
zurück zur Steinzeit - gibt es also keine Alternative zum Bankensystem? Ist es überhaupt
erlaubt, an dem Phänomen der Bank zu zweifeln? Können Muslime nach dem witschaftlichen
Zerfall Indonesiens noch glauben, daß sie in diesem Spiel der Finanzmärkte gewinnen
können? Ist das Spinnenetz globaler Finanzmärkte nicht ganz und gar
irrational?
Das globale System der freien Finanzinstitutionen ist die Bedingung der vollständigen
Globalisierung des Kapitals. Hierfür mußten die Demokratien selbst grundlegend
verändert werden. Moderne Demokratien erlauben die politische Kontrolle der Gesellschaft,
erlauben politische Meinungsfreiheit. Moderne Demokratien erlauben allerdings nicht die
Kontrolle des Finanzsystems selbst und vor allem, sie erlauben natürlich keine
Alternative zum Finanzmodell selbst. Wer kennt die Namen der global operierenden Bankiers?
Wer kontrolliert Sie?
Währung ist etwas, über das das Volk niemals entscheidet. Nach dem Imperialismus sind
auch die sogennaten islamischen Staaten, so radikal sie erscheinen mögen, vom Virus der
Banken befallen - natürlich ist es nun auch dort modern, effektive Banken zu haben. Eine
Bank hat man gleichermaßen im Iran, im Irak, in Saudi-Arabien, in der arabischen Welt.
Banken etabliert man in Bosnien, im Kosovo - irgendwann auch in Tschetschenien. Auch bei
größter ideologischer Entfernung ist die Bank ein globales Bindeglied. Man ist doch
nicht von gestern.
Inzwischen haben alle Banken weltweit etwas gemeinsam, sie sind sakraler Bestandteil des
modernen Lebens. Sie sind dominant. Kein Mensch mehr auf der Welt, der etwa ohne sie
auskommen könnte. Politik, Religion, Kunst - alle werden von den Banken gefördert.
Banken organisieren das Leben, gestalten politische Abläufe und versorgen alternde
Politiker, und wenn nötig, finanzieren Banken auch Kriege. Banken sind Teil eines
globalen Systems der Währungen, über das Muslime naturgemäß keine Kontrolle ausüben.
Ist es Zufall, daß gerade die Währungen muslimischer Länder schwach sind?
Gibt es ein Leben ohne Banken? Diese Frage beschäftigt nicht nur Muslime. Dem Diktat der
Währungshüter wollen inzwischen viele Menschen auf dem Globus entfliehen. In den USA
gibt es eine starke Bewegung von Amerikanern, die die Banken ablehnen - vor allem wegen
ihrer immanenten Abhängigkeit von den irrationalen Abläufen an den Geld- und
Aktienmärkten. So macht der Amerikaner Jackson mit seiner e-Gold Initiative im Internet
Furore. Das rapid wachsende Kontensystem des Amerikaners ist zu 100% von Gold gesichert
und erlaubt es, Transaktionen in Sekundenschnelle ohne Banken auszuführen. Seit
dreihundert Jahren ist dies der erste populäre Versuch, eine Gesellschaft ohne Banken zu
denken. Die Doktrin, ein modernes Leben sei nur mit Banken möglich, bricht nun bald in
sich zusammen.
Es ist gut, wenn Muslime das islamische Recht der Ökonomie entdecken. Für viele Muslime
ist seit jeher Handel und Zakat nur akzeptabel, wenn Gold und Silber, kein Papiergeld,
dabei benutzt werden. Nicht umsonst werden Dinare und Dirhams im Quran erwähnt, und
wir können sie nicht umgehen (siehe al-Qurtubis Tafsir über die Pflichten des Amirs
in Bezug auf den Dinar). Das heute herrschende Finanzmodell jongliert mit irrationalen
Zahlenketten, endloser Verschuldung und Währungsspekulationen. Der Muslim fragt sich
daher: wird dieses geschlossene System etwa nicht fallen und ewig leben können?
Was zu denken geben sollte: In fast allen Aspekten des Lebens sind die Muslime durch den
Quran aufgefordert, einen unterschiedlichen Weg einzuschlagen als die Nichtmuslime.
Genau wie unser Feiertag, Djumuah, sich vom Sonntag der Christen unterscheidet, so
unterscheidet sich auch unsere Art des Handels. Um es einfach abzuschließen, Riba
(Wucher) ist keine Frage rechtlicher Debatten, sondern er ist nach Schirk die im Islam
verhaßteste Sache. Natürlich muß die Debatte um islamisches Banking im
Zentrum künftiger Auseinandersetzungen stehen. An dieser Frage entscheidet sich auch das
Schicksal der Muslime und ihres Gesellschaftsmodells.
Quelle: Islamische Zeitung, 36.
Ausgabe