Islam in der Feindeslinie?
Geopolitische Bedeutung des Balkans, des Kaukasus und der Türkei
Bei der gut besuchten Veranstaltung über den Islam in der Feindeslinie wurde
die geopolitische Situation der Muslime auf dem eurasischen Kontinent untersucht. Die
Veranstalter legten Wert darauf , auch einmal auf die inneren Zusammenhänge der
Ereignisse im Kaukasus, auf dem Balkan und in Istanbul hinzuweisen. In den
westlichen Medien, so Sulaiman Wilms vom Weimar Institut, werden diese
Konflikte normalerweise vereinzelt und isoliert analysiert. Außerdem wird man der
Situation und den Zusammenhängen nicht gerecht, wenn man die Auseinandersetzungen allein
als ethnische Konflikte beschreibt.. Die Muslime - so die Essenz der Redebeiträge -
sind an der grünen, strategischen Linie vom Balkan bis nach Zentralasien wegen der
ökonomischen Neuordnung des Kontinents durch supranationale Organisationen in die
Feindeslinie geraten. Die über 200 Zuhörer wurden an dem Abend in Berlin in die
intellektuelle Argumentation der Muslime eingeführt. Viele Nichtmuslime wurden von der
Potsdamer Akademie zu weiterführenden Veranstaltungen eingeladen und zeigten sich
hochinteressiert an der Themenstellung. Das echte Interesse der Zuhörer an einer tieferen
Darstellung der muslimischen Position war den ganzen Abend spürbar.
Der Moderator des Abends, Chefredakteur Abu Bakr Rieger, ging in seiner Einführung auf
die besondere Rolle der NATO ein. Das Grundphänomen sei hierbei, daß die Türkei um
jeden Preis NATO-Mitglied zu sein habe. Vor allem deswegen werde der Islam als
gesellschaftliche Realität auch in der Türkei verfolgt. Die Kontrolle über Istanbul sei
die herausragende Aufgabe der NATO innerhalb der strategischen, atlantischen Achse USA-
Istanbul - Israel. Die türkischen Generäle seien in die NATO-Struktur eingebunden und
handelten mit Einwilligung des Pentagons. Die Menschenrechte seien hierbei in
keiner Weise die Richtschnur des faktischen Handelns der NATO. Denn, so Rieger
wie könnte sonst die Türkei Mitglied der NATO sein?. In der heutigen Türkei
werden täglich die Rechte von Muslimen beschnitten und verletzt. Die berechtigte Frage
nach der Legitimität der NATO werde in Europa nur noch von Muslimen gestellt.
Der Sprecher der tschetschenischen Regierung in Europa, Salih Brandt, wies auf den Genozid
an der tschetschenischen Bevölkerung hin. Russland sei über den IWF erst in die Lage
gekommen, diesen Vernichtungskrieg zu führen. Seit mehreren hundert Jahren wehren sich
die Tschetschenen verzweifelt gegen die Herrschaft der Russen in der Region. Unbedingt,
so Brandt, muss man auch die Rolle des Wahabismus in der Region untersuchen.
Diese Grupierung habe bisher alles, nur nicht die Erdölpipelines angegriffen. Salih
Brandt berichtete auch über die Hintergründe seines Engagements und die Faszination, die
die tschetschenische Kultur auf ihn ausübe. Es sei für ihn gerade als Europäer wichtig,
entschieden für die Sache der verfolgten Tschetschenen einzutreten. Das Schweigen der
europäischen Regierungen sei angesichts der Vorkommnisse im Kaukasus unerträglich.
Salih Murat aus Mazedonien stellte das Schicksal der Kosovo-Albaner dar. Der Kosovo,
so Murat, ist froh, nun endlich faktisch unabhängig von Jugoslawien zu sein.
Unverständlich sei allerdings für viele Albaner geblieben, warum der Westen leere
Kasernen in Belgrad bombadiert habe, während im Kosovo nach den Angriffen tausende
muslimische Männer umgebracht worden seien. Viele Militärs des Westens hätten darauf
hingewiesen, daß ein Schutz der Bevölkerung bei Luftangriffen völlig unmöglich werde.
Deswegen sei die Lage ohne den Einsatz von Bodentruppen zu Lasten der albanischen
Zivilbevölkerung eskaliert. Inzwischen baue die NATO Mazedonien und Albanien zu
militärischen Stützpunkten in der Region aus. Für mich, so Murat
abschließend, ist klar, daß die Grenzen der Region nur durch die Muslime
überwunden werden können. Ohne eine aktive Rolle der Muslime sei der Balkan nicht
befriedbar.
Zum Schluß des gelungenen Abends bestand für die Besucher ausführlich Gelegenheit,
Fragen zu stellen. In vielen Einzelgesprächen wurden die Ansichten der Muslime auch für
Nichtmuslime nachvollziehbar.
Quelle: Islamische Zeitung, 36. Ausgabe