Muslime in Deutschland - eine Bestandsaufnahme

Beginn einer dreiteiligen Serie von Sulaiman Wilms

Heute ist der Islam in Deutschland zur nominell zweitstärksten Religion geworden, Schätzungen des Statistischen Bundesamtes und anderer Institutionen sprechen von 2,8 bis 4,1 Millionen Einwohnern, die entweder Muslime sind oder aber aus muslimisch geprägten Staaten kommen.

Unter ihnen bilden die Türken mit mehr als siebzig Prozent die größte Mehrheit, und prägen damit, wie die Indopakistanis in England oder die Nordafrikaner in den frankophonen Staaten, das Bild der muslimischen Gemeinde in Deutschland. Neben der Türkei stammen viele Muslime aus Nordafrika, dem ehemaligen Jugoslawien und mehr als 150.000 Muslime gelten als Muslime deutscher Herkunft.

Entsprechend ihrer eigenen Geschichte sind auch die Motive, die sie bewogen haben, ihr muslimisches Umfeld aufzugeben. Obwohl Deutschland seit mehr als 459 Jahren in Kontakt mit der muslimischen Welt steht, ist die konzentrierte Existenz von Muslimen erst nach dem zweiten Weltkrieg zu erkennen. Die erste Welle von Muslimen, die nach Deutschland kamen, wurde durch Arbeitsuchende geprägt, die von der rapide wachsenden deutschen Industrie der Zeit des "Wirtschaftswunders" für einfache Arbeiten benötigt werden.

Während der 60er und frühen 70er Jahre war das muslimische Leben vom Dasein der Muslime als "Gastarbeiter" geprägt, in denen fast nur Männer zumeist in Wohnheimen lebten und sich in Zimmern oder angemieteten Hallen zum Gebet trafen. Erst die Möglichkeit der Familienzusammenführung erlaubte es den Muslimen, sich hier längerfristig heimisch zu fühlen und erste Schritte zur Bildung muslimischer Organisationen zu unternehmen. Aus dieser Zeit stammen die Ursprünge der einzelnen türkischen Organisationen (z.B. VIKZ, IGMG, ATIB etc.) und der Versuch der praktizierenden Muslime, grundlegende Formen des Alltags wie das Gebet, Qur'an Kurse für Kinder usw. zu organisieren.

Seit Ende der 70er Jahre kam die Mehrheit der einreisenden Muslime nicht mehr als Arbeiter, sondern in der Regel aufgrund von  Verfolgung. Kriegen und ähnlichen Ereignissen. Die meisten dieser Muslime kamen aus Afghanistan, Palästina, den kurdischen Gebieten und Pakistan. Seit Beginn der 90er Jahre wurden sie in der Zahl von den Muslimen aus Bosnien bzw., dem Kosovo abgelöst, von denen hunderttausende nach Deutschland geflohen sind.

Diese Spaltung in den Motiven bestimmt den Charakter und die Sichtbarkeit der einzelnen muslimischen Nationalitäten in Deutschland. Während die Türken, aber später auch die Muslime aus Nordafrika, Jugoslawien, Pakistan und den arabischen Staaten hier in Deutschland permanent lebten, ist die Anwesenheit der anderen- zumindest pro forma - nur zeitlich begrenzt. Dementsprechend sind die Muslime, die sich in Vereinen, Gruppen und Dachorganisationen zusammenschließen in der großen Masse hier heimisch geworden. Diese werden unter anderem verstärkt durch einzelne Muslime deutscher Herkunft, deren Einfluß es aber nicht zuläßt, daß die großen Organisationen ihren nationalen Charakter ablegen.

Obwohl der Islam die Religion mit der zweitgrößten Zahl ist und die einzige, die hier rapide Zuwächse erzielt, haben die Muslime hier nicht den Einfluß, den sie zahlenmäßig haben müßten. Mehr noch, Islam ist zu einem Phänomen geworden, welches innerhalb der deutschen Öffentlichkeit zumeist negativ wahrgenommen wird.

Seit mehr als 20 Jahren versuchen muslimische Organisationen, zuallererst die beiden Großstrukturen, Islamrat und der Zentralrat der Muslime unermüdlich, Veranstaltungen des "Dialogs der Religionen" auf verschiedene Weisen zu betreiben. Es scheint, daß die Muslime, die zumeist in all diesen Treffen die Aktiven und Nachgebenden sind, außerhalb eines kleinen Kreises an regelmäßigen Teilnehmern keinen Erfolg innerhalb der deutschen Wiedervereinigung und der damit verbundenen wirtschaftlichen Rezession, sind die Muslime zur Zielscheibe von Angriffen seitens der deutschen Politik geworden. Sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik der deutschen Gesellschaft hat sich kaum mit den Belangen der Muslime beschäftigt und die Bildung muslimischer Vereinigungen stets mit Mißtrauen betrachtet.

 

Quelle: Islamische Zeitung, 30. Ausgabe, Mai 1999

@ Ekrem Yolcu

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