Kulturen reichen sich die Hände
"Gläserne Moschee" in Mannheim ist beispielhaft für die Zusammenarbeit von Türken und Deutschen

Von SUSANNE PLÜCK
Mannheim - "Die gläserne Moschee" - das ist nicht etwa ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, sondern Wirklichkeit in Mannheim. Mehr als 100 000 Besucher haben seit ihrer Eröffnung 1995 die größte Moschee Deutschlands besichtigt und sich dort mit Fragen des Islam auseinandergesetzt. Und der Strom der Neugierigen reißt nicht ab. In einer Zeit, in der Nachrichten über fundamentalistische Gefahren aus dem Ausland und wachsende Ausländerfeindlichkeit im Inland die Zweifel an einem friedlichen Zusammenleben der Kulturen in der Zukunft nähren, strahlt das Experiment in der kurpfälzischen Industriemetropole als Hoffnungszeichen bereits heute weit über die Region hinaus.

Das Projekt "offene Moschee" des Instituts für deutsch-türkische Integrationsforschung an der Mannheimer Yavuz-Sultan-Selim-Moschee präsentiert seit mehr als drei Jahren ein islamisches Gotteshaus für christliche Besucher und ein Begegnungszentrum, in dem der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen deutschen und türkischen Familien, Jugendlichen und Frauen gepflegt wird. Aus ganz Deutschland kommen inzwischen Imame türkischer Gemeinden und deutsche Stadträte nach Mannheim, um sich dort Rat für eigene Bauvorhaben oder deutsch-türkische Integrationsprojekte zu holen. Unter der Schirmherrschaft des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) erhält das Institut morgen den mit 75 000 Mark dotierten Karl Kübel Preis verliehen. Der Islamische Bund als Träger der Moschee und die umliegenden christlichen Kirchengemeinden arbeiten bei dem Modell eng zusammen. "Es ist von größter Bedeutung, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Anhänger verschiedener Religionen nicht aufeinander los-, sondern zugehen und sich in Offenheit und Toleranz begegnen", bewertet der katholische Theologe Hans Küng, der morgen in der Mannheimer Moschee die Laudatio halten wird, das Experiment.

Die Pläne für einen Moscheeneubau für die 20 000 Muslime der Industriestadt hatten zunächst bei vielen deutschen Bürgern erbitterten Widerstand hervorgerufen. Der Vorsitzende des Islamischen Bundes, der Mannheimer Kaufmann Osman Özay, ging auf die benachbarten Kirchengemeinden und den Ausländerbeauftragten der Stadt zu. Gemeinsam gründete man 1991 die Christlich-islamische Gesellschaft, die die Kommunikation zwischen den Gläubigen der verschiedenen Religionen in Gang setzte und schließlich einen Ausgleich der Interessen ermöglichte. In ihrem Vorstand sitzen auch Pfarrer Martin Wetzel von der katholischen Liebfrauenkirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite und der Evangelische Schuldekan der Stadt Mannheim, Günter Eitenmüller.

Um den Dialog weiter auszubauen und auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen, wurde dann im Zuge des Moscheebaus das Institut für deutsch-türkische Integrationsforschung gegründet, das von einem deutsch-türkischen Team geleitet wird: dem deutschen Politikwissenschaftler und Katholiken Reiner Albert und dem Türken Talat Kamran. Der 34jährige Islamwissenschaftler Bekir Alboga leitet den Besucherdienst, der mit Genehmigung des Moscheevorstands fast täglich Schulklassen, kirchliche Gruppen, Verbandsdelegationen, Abgeordnete, Rotarier und viele andere durch das Gebäude führt, in dem zum Freitagsgebet jede Woche etwa 5000 Männer zusammenkommen. Offene Fragen zur muslimischen Religion und kontroverse Diskussionen über kulturelle Unterschiede sind bei diesen Führungen selbstverständlich. Auf dem Programm des Instituts stehen ferner christlich-islamische Jugendprojekte, Begegnungen speziell für Frauen, interkulturelle Diskussionsabende, die Veranstaltung von Tagungen und wissenschaftliche Veröffentlichungen. Eine "Mitfeier-Zentrale" soll Familien beider Religionen ermöglichen, gegenseitig ihre religiösen Feste kennenzulernen.

Vom Ausländerbeauftragten der Stadt Mannheim gefördert und von der dortigen muslimischen Gemeinde überzeugt mitgetragen, traf die "offene Moschee" beim türkischen Generalkonsul zunächst auf wenig Gegenliebe. Von deutsch-türkischen Integrationsideen hielt er gar nichts. Auch der als türkischer Staatsbeamter dem Religionsministerium in Ankara unterstehende Imam, der des Deutschen nicht mächtig ist, machte Schwierigkeiten. Doch ein durch nichts zu beirrender Idealismus der Institutsmitarbeiter, die bis heute unter materiell unsicheren Bedingungen arbeiten müssen, hielt das Projekt am Leben. Sie wünschen sich von seiten der Politik in Zukunft nicht nur ideelle, sondern auch ernstzunehmende finanzielle Förderung. Hier ist als erstes die Stadt Mannheim gefragt.

Die Mannheimer Moschee von innen

Die Integrationsbereitschaft der türkischen Mitbürger, so Osman Özay vom Islamischen Bund, habe ein Zeichen der deutschen Politik verdient, daß man ihr entgegenkomme. Es sei wichtig, daß deutsche Behörden begriffen, daß der Islam in Deutschland nicht eine türkische, sondern eine deutsche Angelegenheit sei, betont auch Hans Küng. "Nicht irgendwelchen fernen Behörden in Ankara, die gerne ihre Staatsangehörigen in Mannheim und anderswo kontrollieren möchten, sollten Gesprächspartner der Behörden sein, sondern primär die hier geborenen Muslime." Von der Türkei wünscht sich der Theologe, "daß man uns nur noch solche Imame nach Deutschland schickt, die Sprache und Mentalität unseres Landes kennen". Die Mannheimer Muslime jedenfalls stehen hinter der "offenen Moschee". Ihr größter Stolz wäre es, wenn Bundeskanzler Helmut Kohl an einem Wochenende, wenn er sowieso in Oggersheim ist, auch einmal ihre Moschee besuchen würde.

Quelle: DIE WELT, 14.10.1997