Louis Hunkanrin, ein vergessener marxistischer Menschenrechtler aus dem heutigen Benin

Was lehrt er unserer Ummah heute

Schlussfolgerungen für die Musliminnen und Muslime heute:

von Dr. phil. Milena Rampoldi

1)  Louis Hunkanrin weist uns als muslimische Menschenrechtler den Weg hin zur Auflehnung gegen die Ungerechtigkeit. Als Außenstehender und Nicht-Muslim und selbst im mauretanischen Exil hat er sich für die muslimischen Sklavinnen und Sklaven persönlich eingesetzt. Er hat nicht weggesehen. Dazu sind auch heute die Musliminnen und Muslime aufgerufen, die in Mauretanien und im Ausland gegen die Sklaverei im Lande kämpfen.

2)  Louis Hunkanrin zeigt auf, wie falsch die Rechtfertigungen der Sklaverei im Namen der Religion sind. Er sagt, obwohl er gar nicht Muslim ist, wie Allah die Sklaverei nicht gewollt haben kann, denn die Sklaverei widerspricht dem islamischen Egalitarismus.

3)  Louis Hunkanrin bringt uns bei, wie wir uns gegen die unethischen Herrscher und gegen das ungerechte System auflehnen können, in dem wir schreiben, unsere Feder als effiziente Waffe nutzen, und dies kompromisslos, um für die Gleichheit aller Menschen zu kämpfen.

In diesem Artikel möchte ich Ihnen einen vergessenen, heldenhaften Journalisten und Menschenrechtler aus der französischen Kolonialzeit vorstellen, der uns heute einen sehr wirkungsvollen Ansatz vermittelt, um die Sklaverei in Mauretanien zu bekämpfen: 

 

Louis Hunkanrin. 

 

Den Anstoß zur Verfassung meiner Schrift über sein Leben und sein Pamphlet gegen die Sklaverei in Mauretanien, das 1931 in französischer Sprache erschien und dann in Europa vollkommen in Vergessenheit geriet, gab mir der marxistische französische Historiker Jean Suret-Canale (1921-2007) gegeben, der über Hunkanrin Folgendes schrieb:

 

Louis Hunkanrins Kampf und Leben gehören nun der Geschichte an. Aber ich bin vertrauenswürdig, dass bald Anderen über ihn detailliertere Schriften verfassen werden, um seinen großen menschlichen Kampfgeist zu verewigen. Denn seine einzige Zielsetzung im Leben bestand in der Durchsetzung der Rechte Afrikas und der Menschenrechte.

 

Ich finde, dass Hunkanrins aussagekräftige Worte heute wie damals immer noch aktuell sind und gewürdigt werden sollen. Ich freue mich daher sehr, den deutschen Leserinnen und Lesern diesen großen und in Vergessenheit geratenen kritischen Journalisten und unermüdlich engagierten Menschenrechtler vorstellen zu dürfen, der für mich ein wahres Symbol des Gerechtigkeitskampfes in Kolonialafrika darstellt. 

Kurz einige Informationen zu seiner Biographie:

 

Louis Hunkanrin wurde am 25. November 1887 in Porto Novo, der heutigen Hauptstadt des Staates Benin, geboren. 1904 wurde dann Dahomey definitiv in die französische Kolonie Westafrika einverleibt. 1960 erlangte Benin dann nach 54 Jahren seine Unabhängigkeit von Frankreich, die Hunkanrin noch persönlich erlebte.

 

Hunkanrin stammte von der königlichen Familie in Dahomey ab und genoss daher eine vorzügliche Erziehung. Der junge Louis studierte an der Ecole Normale de Saint-Louis in Senegal, die damals das einzige Institut für die Lehrerbildung in ganz Französisch-Westafrika war, und wurde 1907 Grundschullehrer. Nach dem Abschluss seines Studiums begann er seine berufliche Tätigkeit in der Stadt Ouidah an der Atlantikküste von Dahomey als Grundschullehrer. Er kam aber sehr bald aufgrund seiner kompromisslosen Geisteshaltung in Konflikt mit dem Schulleiter, da Hunkanrin sich nicht davor scheute, offene Kritik gegenüber der französischen Kolonialherrschaft auszuüben und ein kompromissloser und felsenfest überzeugter Anhänger des höchsten Ideals der Gerechtigkeit war, das für ihn auch im Erziehungsbereich unverzichtbar als Ziel angestrebt werden sollte. 

 

Er findet daraufhin 1910, nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst, seine Berufung im (regime)kritischen, engagierten und extrem mutigen Journalismus. Er wird ein Berufungs-Journalist, der aber eine direkte Bedrohung für die Kolonialherren und ihre ungerechten und korrupten Praktiken in Französisch-Westafrika darstellt, da er zum Symbol eines unermüdlichen Kampfes für die Gerechtigkeit und die Menschenrechte wird. Er gründet 1910 auch die erste Sektion der Ligue des droits de l’homme in Dahomey und wird aufgrund seiner aktiven Auflehnung gegen die Missstände der Kolonialregierung auch verhaftet. 

Aufgrund der politischen Feinde, die er sich durch seine engagierte journalistische Tätigkeit in Dahomey gemacht hatte, musste Hunkanrin das Land verlassen und setzte so seine journalistische Tätigkeit 1913-14 in Dakar für die Zeitungen La Dépêche Coloniale und La démocratie du Senegal fort. Hier wird er erneut festgenommen. 

 

In Dakar lernt er dann den senegalesischen Politiker Blaise Diagne (1872-1934) kennen, mit dem er sich anfreundet und eng zusammenarbeitet. Diagne wurde als erster Schwarzer in das französische Repräsentantenhaus gewählt, was für die damaligen Verhältnisse eine wahre Sensation war. Mit Hilfe der Ideen von Blaise Diagne, dem er einige Jahre sehr nahe stand, verfei-nerte Hunkanrin auch seine Kritik am französischen Kolonialismus. Diagne war wie auch Hunkanrin ein starker Befürworter der Aufhebung jeglicher Rassendiskriminierung in Französisch Westafrika, da gerade Frankreich für Ideale wie Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit stand und diese für alle Menschen, unabhängig von ihrer Kultur und Hautfarbe gelten sollten, diese die Grundüberzeugung von Hunkanrin.

1914 kehrt Hunkanrin aus Senegal wieder in seine Heimat zurück, wo er wieder verfolgt wird. Er setzte sich gegen die Rassendiskriminierung ein und plädierte für die Bedeutung der Erziehung der Afrikaner, um den Durchbruch hin zur Gleichheit mit den Franzosen zu schaffen. Diagne verschaffte ihm dann 1918 die Möglichkeit, als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg zu dienen. 

 

Aber bald trennten sich die Wege der beiden Männer, weil Hunkanrin Blaise Diagne vorwarf, er hätte sich schmieren lassen, um Afrikaner in den Militärdienst aufzunehmen. Der Militärdienst war damals auch für viele afrikanische Sklaven ein idealer Fluchtweg, um sich ihre Freiheit zu erkaufen.

Während seiner Zeit in Frankreich begann Hunkanrin 1917 seine journalistische Tätigkeit für Recadère de Behanzin. Diese Zeitung hatte Hunkanrin zusammen mit dem Ethnologen, Schriftsteller und Politiker aus Dahomey Paul Hazoume (1890-1980) im Untergrund gegründet. Hazoume gehört wie auch Hunkanrin zur Elite des Landes. In dieser Zeitung ging es den beiden Journalisten grundsätzlich darum, sich gegen die Verwaltung des korrupten, französischen Gouverneurs zu richten. 

 

Drei Jahre später gründete Hunkanrin dann in Paris in Zusammenarbeit mit dem antillanischen Anwalt und Journalisten Max Clainville-Bloncourt Le Messager dahoméen, nachdem er bereits Abstand von der kolonialistischen Anschauung von Diagne genommen und sein Angebot, in die Heimat zurückzukehren und dort Karriere zu machen, zurückgewiesen hatte.

Auch diese neue Zeitung verfolgte das Ziel der Denunzierung der Missstände der Kolonialherrschaft in Dahomey und setzte sich für die republikanischen Ideale ein, obwohl einige Mitglieder auch die Zuwendung zu kommunistischen Idealen dann mit einer antikolonialen Gesinnung von Ho Chi Minh (1890-1969) verbanden. 

 

Zwischen den beiden Weltkriegen beginnt eine Bewegung der Schwarzen hin zur Identitätsfindung und weg von der kolonialen Assimilierung im Namen der schwarzen Presse-freiheit. Und gerade in diesen Rahmen fällt die gemeinsame Zeitung von Max Clainville-Bloncourt und Louis Hunkanrin. Es geht um die schwarze Einheit in der Diaspora, die dann einen sehr starken Einfluss auf die Befreiung und den Kampf für die Gerechtigkeit in den einzelnen Herkunftsländern ausübt. Kurzum geht es um Panafrikanismus. Hunkanrin nahm mit Diagne auch teil am zweiten Panafrikanischen Kongress in London, Brüssel und Paris im August und September 1921. In Frankreich entsteht gerade 1922 in dieser neuen kulturellen Stimmung die radikale Monatszeitschrift Le Paria, die Schwarzen und Asiaten weltweit ihre Stimme verleiht. 

 

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Beispiel einer Karikatur aus Le Paria

 

Am Kommunismus inspiriert sich auch die Zeitschrift La Voix Nègre des politischen Aktivisten Lamine Senghor (1889-1927) aus Senegal.

Es entstehen zwischen den Weltkriegen in Frankreich zahlreiche schwarze Zeitschriften, die alle das Ziel der internationalen Emanzipation der Schwarzen anstreben. Während des Faschismus und der xenophoben Bewegungen in Frankreich orientiert sich die schwarze Bewegung immer mehr in Richtung der antifaschistischen Linken. 

 

Um auf Hunkanrin zurückzukehren, möchte ich kurz über das Jahr 1923 berichten, das meiner Meinung nach das schwerste Jahr für Hunkanrin war, der nach der Teilnahme am passiven Widerstand gegen die Kolonialverwaltung, welche die Zwangsarbeit in Dahomey unterstützte, in Porto Novo zu einem zehnjährigen Zwangsexil nach Mauretanien verurteilt wurde. Er hatte eine Petition eingereicht, um die Einführung weiterer Steuern zu verhindern und somit die schwachen Schichten der Bevölkerung zu unterstützen. Auf diese Weise hatte er natürlich die „Ordnung“ des französischen Kolonialregimes in Frage gestellt. Sein beachtlicher Mut zur Meinungsfreiheit und zur Opposition gegen die Ungerechtigkeiten des Kolonialregimes, die er während seines Exil aktiv fortsetzt, wird auch 1933 nach seiner Rückkehr in die Heimat keineswegs gebrochen. Hunkanrin bleibt nach dem Exil derselbe: ungebrochen. Und gerade das ist der wundervolle Aspekt, der ihn meiner Meinung so heldenhaft macht. 

 

Der passive Widerstand hatte aber auch ein positives Ergebnis gebracht, da den Städten Porto Novo, Cotonou und Ouidah an der Küste des Landes 1925 ein besonderer Autonomiestatus als communes mixte gewährt wurde. Den passiven Widerstand leistete Hunkanrin auch in Zusam-menarbeit mit dem franco-muslimischen Komitee, das sich wie er gegen die Inflation und die schlechten Zustände der Arbeiterklasse auflehnte.

Der gemeinsame Aufstand der Linken und Muslime von 1923 wurde von der Regierung militärisch hart nieder-geschlagen. 

 

Nach seiner Rückkehr aus dem mauretanischen Exil schreibt Hunkanrin erneut für verschiedene Zeitungen, u.a.  für La Voix du Dahomey und Courier du Golfe de Benin. Die von Schwarzen geführten Zeitungen hatten nun eine Zukunft, weil es in der Zwischenzeit eine Gesetzes-änderung gegeben hatte, nach der eine Zeitung in Dahomey auch von Schwarzen und nicht nur von Franzosen geleitet werden durfte. Nach den Dekreten von Regnier-Rollin 1935 kam es aber wieder zu Verfolgungen der Journalisten und natürlich auch des unermüdlichen Regimekritikers Hunkanrin. Die Zeitung Voix de Dahomey wurde verklagt und Hunkanrin zu einer Geldstrafe verurteilt. 

 

Daraufhin trifft ihn während des zweiten Weltkrieges eine weitere Verfolgung, weil er das Regime von Vichy nicht anerkennt und sich auf die Seite von Charles de Gaulle stellt, der sich damals im algerischen Exil befindet. Wegen Gaullismus wird er 1941 zum Tode verurteilt. Sein Todesurteil wird aber in eine Deportation nach Französisch-Sudan (im heutigen Mali) umgewandelt, wo er bis 1947 im Exil lebt und dann wieder in die Heimat zurückkehrt. Auffällig ist, dass er sogar nach dem Fall von Vichy 1944 immer noch in Haft blieb. Dies hing mit den Wahlen von 1945-6 zusammen, von denen die Kolonialregierung die Oppositionellen fernhalten wollte.

Die Sympathisanten von Charles de Gaulle wurden während des Vichy-Regimes damals im gesamten Lande sehr schwer verfolgt. So wurde auch Jean Adjovi zusammen mit Hunkanrin ins Exil geschickt. 

 

 

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Eingang des Hauses SOGNIGBE in Ijofin, Exilresidenz von Louis Hunkanrin

 

Zusammen mit Pierre Johnson und Féliho waren Adjovi und Hunkanrin für das exekutive Komitee des freien Frankreich gegen Vichy in Dahomey vorgesehen gewesen, ein politisches Projekt, das aber am Ende scheiterte.

Um 1947 seine Befreiung zu erwirken, wurde ein Verteidigungskomitee für Hunkanrin gegründet, um ihn zu rehabilitieren und das ungerechte Urteil von 1941 gegen ihn wieder gutzumachen. Die Organisation Secours populaire de France setzte sich mit diesem Ziel beim Minister der Kolonien für Hunkanrin ein. Schlussendlich wurde dem Journalisten die Heimreise nach Dahomey genehmigt. Ungebrochen setzte er seine Arbeit als Journalist fort und gründet eine neue Zeitung, die Le Trait d’Union, in der er wiederum die Missstände der Kolonialregierung angriff.

Als Benin 1960 seine Unabhängigkeit von Frankreich erlangte, lebte Hunkanrin noch bis zu seinem Tode im Jahre 1964 in seinem Lande, wo er auch den Präsidenten des unabhängigen Benins als Berater zur Seite stand. 

 

Um seine Weltanschauung besser zu erläutern, finde ich sein Werk Un forfait colonial : l’esclavage en Mauritanie  zentral, weil sich hier die wichtigsten politischen und menschen-rechtlichen Ideen von Hunkanrin finden. Das Pamphlet wurde 1931 in Paris von der Ligue des droits de l’homme veröffentlicht. Es denunziert in allem die Korruption der französischen Kolonialherrschaft, die Rassendiskriminierung, das Kastenwesten, die Sklaverei. Was aber für Hunkanrin so wichtig ist, ist aufzuzeigen, wie die Franzosen Schuld an der Verewigung der Sklaverei im Lande sind, weil sie korrupt mit den Sklavenhändlern und den Herren zusammenarbeiten, anstatt die Institution der Sklaverei im Namen der Ideale der französischen Revolution effektiv zu bekämpfen. 

 

Wie stark sich die republikanischen Ideale des Mutterlandes Frankreich von der mauretanischen Realität der Versklavung großer Teile der Bevölkerung unterschieden, war für Hunkanrin das Hauptmotiv, diese Institution zu denunzieren und somit scharfe Kritik an der Kolonialverwaltung auszuüben.

 

Hunkanrin ließ sich auch nach zehn Jahren Exil nicht umstimmen. Er war kein Gegner der mission civilisatrice der französischen Kolonialmacht, ein Standpunkt, den ich natürlich nicht teile, aber nachvollziehen kann, wenn ich davon ausgehe, wie sehr Hunkanrin an die republikanischen Werte des französischen Mutterlandes glaubte und diese in seinem Land umsetzen wollte und somit von Frankreich forderte. Er forderte von Frankreich dieselben Rechte für die Afrikaner und auch chancengleiche Erziehung für alle. Er hatte dabei in seinem Idealismus nicht gesehen, wie sehr sich Kolonialherrschaft und „Export“ der europäischen Demokratie nach Afrika in der Praxis widersprechen. Er blieb aber sein Leben lang seiner politischen und pädagogischen Berufung treu. Nachdem er die Ideale der Aufklärung in der westlichen Pädagogik erlernt hatte, strebte er danach, eine Gleichberechtigung zwischen Franzosen und Afrikanern im Kolonialregime zu erzielen. Er hörte nicht auf, für seine Ideale zu kämpfen, ein Aspekt, den ich in ihn nahezu heldenhaft finde, wenn wir uns vor Augen führen, wie oft er ins Exil, deportiert und verhaftet wurde. 

 

Somit ist Hunkanrin für mich persönlich heute weder der unassimilierbare Gegner der korrupten französischen Kolonialherrschaft noch der Nationalist von Benin, sondern mehr, und zwar ein Mann, der für die Gerechtigkeit kämpfte und mit den Unterdrückten und Schwachen solidarisierte, indem er ihnen eine Stimme gab, unabhängig davon, welcher Religion oder welchem Stamm sie angehörten. Er rief auch alle Weltanschauungen und Religionen in einer Art synkretistischem, marxistisch orientierten Humanismus dazu auf, Ausbeutung, Sklaverei und Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen.

 

Wie Djivo in seiner Biographie von Hunkanrin schreibt: « son amour de la justice et sa profonde sympathie pour les opprimés ont déterminés ses lignes d’action politique ».

 

Auf dieser Grundlage griff er auch die menschen-verachtende Institution der Sklaverei in Mauretanien während der französischen Kolonialherrschaft an. Seine Bemühungen gegen die Sklaverei hatten aber auch konkrete Ergebnisse erzielt und nicht nur Menschenseelen bewegt: 1933 wurde eine interne Untersuchung eingeleitet, um das Problem der Sklaverei in Mauretanien zu ergründen. 

 

Nun möchte ich auf den Inhalt des Pamphlets von Hunkanrin über die Sklaverei in Mauretanien übergehen. Hunkanrin stellt für mich ein Modell dar, das sich in Mauretanien immer wieder wiederholt: Wer die Sklaverei und ihre Verwerflichkeit im Namen des Islam, des Kommunismus, Marxismus, der Menschenrechte oder des Humanismus oder welcher Ideologie oder Religion auch immer, offen und scharf kritisiert und denunziert, wird vielfach verhaftet. 

 

Ein wichtiger Aspekt der Weltanschauung von Hunkanrin, der auch am Beispiel seines Denunzierens der mauretanischen Sklaverei zum Ausdruck kommt, ist sein panafrikanisches Denken, das er auch mit Saïdou Kane gemeinsam hat. Es geht beiden, wie auch Nelson Mandela, darum, Ungerechtigkeit und Rassendiskriminierung, Sklaverei und Unterdrückung im Namen der Menschlichkeit entgegenzuwirken und diesen Kampf über die nationalen Grenzen auszuweiten. Für mich war Hunkanrin ein Gerechtigkeitskämpfer und kein Nationalist. 

 

Das Pamphlet birgt eine unvergleichbare, sprachliche Stärke in sich. Es fesselt jede Leserin und jeden Leser sofort und bindet sie/ihn an die Gedanken von Louis Hunkanrin und führt sie/ihn dazu, sich mit dem Thema der Sklaverei in Mauretanien im Namen der Gerechtigkeit und der Menschenrechte auseinanderzusetzen. 

 

Hunkanrin schreibt ohne Diplomatie, frei von jeder Zensur und denunziert eine Realität, die man nur denunzieren und verurteilen kann: und zwar die der Sklaverei. Die definitive Zielscheibe bleibt aber immer die französische Kolonialherrschaft mit all ihren  Missständen. Er fordert in seiner Einleitung zum Pamphlet Frankreich dazu auf, seinen humanitären Idealen gerecht zu werden und in ihrem Namen der Institution der Sklaverei in Mauretanien ein Ende zu bereiten.

 

Zu Beginn des Pamphlets beschreibt Hunkanrin die verschiedenen Stämme der Schwarzen, die von den weißen Mauretaniern wie Tiere gehalten werden. Es werden ihnen die Menschlichkeit und die Menschenwürde abgestritten.

Er beschreibt anhand realistischer Beispiele die Verankerung der Sklaverei in der maurischen Gesellschaft und die Verewigung des Status der Sklaven durch das Erbe. 

 

Der menschenverachtenden Realität der Sklaverei muss im Interesse der französischen Kolonialmacht entgegengewirkt werden. So formuliert dann Hunkanrin die Anklage gegen die Elite der Beydane in Mauretanien, indem er sagt, die Mauren würden sich für Aristokraten halten, die im Namen Allahs geschaffen wurden, um auf Kosten anderer zu leben. Die gesamte mauretanische Wirtschaft basiert in all ihren Bereichen auf der kostenlosen Arbeit der schwarzen Sklaven, und dies im 20. Jahrhundert in einer französischen Kolonie, wo Frankreich sich immer als Befürworter der Gleichheit und Gerechtigkeit darstellt, so Hunkanrin. 

 

Nach dieser scharfen Kritik am französischen Kolonialismus, an der Ausbeutung der Sklaven durch die weiße, maurische Bevölkerung und an der Faulheit einer Elite, die es sogar wagt, diese Institution der Sklaverei als von Allah gewollt zu bezeichnen, folgt ein wundervoller Brief von Hunkanrin an den Gouverneur von Kiffa (im Bezirk von Assaba) in Mauretanien. Hier unterstützte Hunkanrin verschiedene Sklavenfamilien und forderte sie auf, sich bei der Kolonialverwaltung über ihren Zustand zu beschweren und ihre Befreiung zu fordern, da diese ihnen gesetzlich zusteht. 

 

In seiner Ansprache im Pamphlet fordert Hunkanrin für seine schwarzen Mitbürger und sich die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung als „Kinder Frankreichs“, somit die Gleichheit aller Bürger vor dem französischen Gesetz, was natürlich die sofortige und effektive Abschaffung der Sklaverei in Mauretanien bedeuten würde und nicht nur die Verabschiedung von Farcen-Verordnungen und -gesetzen, wie es seit 1848 im Lande der Fall ist.

Es folgt dann die Auflistung einiger französischer Rechtstexte zwecks Abschaffung der Sklaverei in Westafrika, die bedauerlicherweise nichts anderes als eine Farce sind. 

 

Schon 1848 hatte die französische Kolonialherrschaft offiziell die Sklaverei in den Kolonien abgeschafft. Die Kommission des Menschenrechtlers Victor Schœlcher (1804-1893), die eingerichtet wird, um die Sklaverei schrittweise in allen französischen Kolonien im Namen der Werte der Republik abzuschaffen, erhält einen symbolischen Wert, obwohl der Senator Schœlcher als überzeugter französischer Abolitionist seiner Zeit galt. Er war ein überzeugter Humanist und Philanthrop, dessen nicht-utopischer Realismus der Abschaffung der Sklaverei nicht ins Bild der kolonialen Aneignung der mauretanischen Gebiete passte. 

 

Denn sehr bald konzentrierte sich die Kolonialmacht Frankreich nur mehr auf die Suche nach Allianzen, um die Macht zu Gunsten der Kolonialwirtschaft im Lande zu erhalten. Und dies war nur möglich, wenn Frankreich sich mit der herrschenden Klasse der maurischen Sklavenhalter arrangierte.  

 

Die Befreiung aller Sklaven auf dem Papier durch die französische Kolonialmacht führte dann zum Verkauf der Sklaven durch ihre Herren, welche die Zeit zwischen der Erklärung der theoretischen und effektiven Befreiung der Sklavinnen und Sklaven nutzten, um Kapital rauszu-schlagen. Seitdem heißt es in allen französischen Gesetzen, dass die menschliche Würde und die Gleichheit aller Menschen oberste Priorität haben. Aber diese Ideale stoßen schon sehr bald auf den Widerstand der Sklaven-halter und –treiber Westafrikas, die sich gegen die Befreiung ihrer „Ware“ wehren. So werden die Sklaven nicht befreit, sondern in der Tat nur an den nächsten Bestbietenden weiterverkauft. 

 

Und so kommt es zur Situation, die Hunkanrin dem französischen Kolonialregime in seinen Briefen an die Kolonialbeamten vorwirft: die enorme Diskrepanz zwischen der Theorie des Gesetzes und seines republikanischen Gehaltes und der Praxis der tief in der Mentalität und Kultur der Menschen verwurzelten Institution der Sklaverei, mit der sich dann auch die Kolonialherren arrangieren.  

 

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Dasselbe gilt auch für die Verordnung zur Abschaffung des Sklavenhandels von 1905. Hunkanrin gibt sich aber mit der Accomodation nicht zufrieden und klagt die Allianz Frankreichs mit dem Sklavenhaltersystem der mauretanischen Kasten nicht nur im Namen des Kommunismus, sondern auch des Monotheismus, scharf an. Nachdem der Autor dem Gouverneur seine eigenen Gesetze, die im Lande nicht eingehalten werden, vorgeführt hat, nimmt er Bezug auf die religiöse Pflicht, die für alle Monotheisten gilt, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten, was die Mauren aber nicht tun, weil sie zu diesem Zwecke die schwarze Bevölkerung im Lande ausbeuten. Er denunziert die Falschheit der Mauren, die sich gegen die Gesetze Allahs stellen, wenn sie Sklaven halten. Für Hunkanrin, wie ich auch für mich und alle Abolitionisten im Islam, widerspricht die Sklaverei den Grundprinzipien des Islam, und vor dem Islam des Judentums und des Christentums. Aber in der französischen Kolonialliteratur wird der Islam noir oft als nicht wahrhaft islamisch betrachtet, um eine verschiedene Behandlung der sogenannten „bastardised“ Muslime in Westafrika durchzusetzen, zu der auch die Akzeptanz der Sklaverei in Mauretanien gehört. Hier sehen wir, wie der Islam auf beiden Seiten, der französischen und der maurischen so unglaublich manipuliert wird, um die Sklaverei zu erhalten. 

 

Anbei ein treffendes Zitat zur Erklärung dieser widersprüchlichen Anschauung des Islam Noir, ein von der Kolonialmacht Frankreich erfundenes Konstrukt zwecks Unterdrückung der Schwarzen durch eine Allianz mit den Sklavenhalter-Dynastien der Mauren:

 

„Die Anerkennung des Islams nur im Rahmen seiner in Afrika etablierten und entwickelten Formen stellte eine Form kolonialer Traditionskonstruktion dar, die in den französischen Kolonialgebieten zur Entstehung des „Islam noir“ führte. Nach diesem Konzept galt der „Islam noir“ im Vergleich zum vorgeblich radikalen und rassistischen Islam „arabe“ als „tolerant“ und „synkretistisch“. Trotz solcher Vorstellungen betrachteten sich die Kolonialbehörden bewusst oder unbewusst häufig als Nachfolger der muslimischen Herrscher-dynastien…“ 

 

Nach diesem bedeutenden Diskurs über die Verbindung zwischen der Manipulierung der Religion des Islam durch die Sklavenhalter und die Ausbeutung der Sklaven im Lande, wendet sich Hunkanrin wirtschaftlichen Betrachtungen zu, indem er erklärt, wie die Abschaffung der Sklaverei zum Reichtum des Landes und zu seiner ökonomischen Entwicklung beitragen kann. Wie auch Kane nach ihm, glaubt Hunkanrin an ein Mauretanien nach der Abschaffung der Sklaverei, in dem Mauren und Schwarze gemeinsam das Land aufbauen und zu seinem Reichtum beitragen. Er widersetzt sich auch den Argumenten, nach denen die Befreiung der Sklaven zu Unruhen und Prostitution führen wird. Das gerade ist die Version des Islam, die sich die Kolonialregierung zurechtbiegt, um sich nicht gegen die Beydane aufzulehnen und die Sklavinnen und Sklaven definitiv zu befreien.

 

Im Namen der französischen Menschlichkeit appelliert der Autor am Ende dieses ersten Briefes an den Gouverneur, damit er diese Geste der Menschlichkeit geschehen lässt und somit die Gestaltung eines versöhnten, wirtschaftlich entwickelten Mauretaniens ohne Sklaverei ermöglicht.

Hunkanrin berichtet auch, dass er die Angelegenheit der Ligue des Droits de l’homme vorgelegt hat, die sich ihrer annehmen muss.

 

Am Ende seines Textes folgt eine Beschwerde, die Hunkanrin am 10. Juni 1930 an den Staatsanwalt von Tidjikja Abdi Ould Helive stellt. Er denunziert hier die Rückführung von befreiten Sklaven in die Häuser ihrer maurischen Herren und Ausbeuter. Erneut zitiert der Autor die gesetzlichen Bestimmungen der französischen Kolonialmacht gegen die Sklaverei und bittet den Staatsanwalt, seinem Antrag stattzugeben und diese Menschen erneut zu befreien, wie es das Gericht angeordnet hatte. 

 

Es folgt eine weitere Beschwerde derselben Art an die Staatsanwaltschaft der französischen Kolonialmacht. Der Autor bittet um die Befreiung von Sklaven, die im Gegensatz zu ihm, der sich in Gefangenschaft befindet, mehr leiden und Opfer größeren Unrechts sind als er selbst. Er fordert Gerechtigkeit und die Abschaffung dieser verwerflichen Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen. Die Kolonialmacht und ihre karrieresüchtigen und korrupten Beamten versuchten sich aber vor allem, was die Gerichtsbarkeit anging, mit den Mauren zu arrangieren. 

 

Abschließend schreibt Hunkanrin noch, wie dieser Verstoß gegen die Gerechtigkeit und diese unmenschliche Insti-tution unwürdig für ein Land wie Frankreich sind, das auf den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit basiert. Ich hoffe, dass meine Leserinnen und Leser den Ausdruck und die Kraft der Worte von Louis Hunkanrin so lieben werden wie ich und sich durch diesen Anstoß auch weiter mit dem Thema der Bekämpfung der Sklaverei in den islamischen Ländern beschäftigen werden. 

 

Das Jahr 1930, in dem Hunkanrin diese Seiten schrieb, war genau das Jahr der Konferenz der internationalen Arbeits-organisation gegen die Zwangsarbeit vier Jahre nach dem internationalen Abkommen zur Abschaffung der Sklaverei, im Rahmen derer eine Konvention ratifiziert wurde, die Frankreich aber erst 1937 ratifizierte. Es folgte 1956 die UN-Konferenz zur Abschaffung der Sklaverei.

Am Ende manipulierten die französische Kolonialmacht und auch die weißen Mauren (die Beydane) den Islam zu ihren jeweiligen Zwecken: wenn es den Franzosen für ihr Image notwendig erschien, nutzten sie die islamischen Aufforderungen zur Sklavenbefreiung aus, um Menschen im Namen des Mutterlandes Frankreich zu befreien und in die sogenannten freien Dörfer zu bringen, während sie dann wiederum im Namen des Islam darauf verzichteten, die Sklaverei-Tradition der Muslime zu berühren, um keine sozialen Unruhen zu verursachen und die falsche Interpretation des Islam durch die Mauren beizubehalten. Die Mauren nutzten ihrerseits den Islam und die Verse des Korans über die vorislamische Sklaverei, um diese Institution zu verewigen und kostenlose Arbeitskräfte zu erhalten. Befreit wurden wenn überhaupt vor allem Männer, welche die neue Arbeiterklasse der Haratine bildeten, während Frauen sexuell ausgebeutet wurden, um neue Sklaven für ihre Herren zu gebären. Eine Schande, gegen die sich Hunkanrin einfach nur wehrte, und dies ein Leben lang! 

 

Denn wie aus der offiziellen Beschreibung Mauretaniens in der Exposition coloniale internationale de 1931 hervorgeht, ein Dokument, das im selben Jahr veröffentlicht wurde, in dem Hunkanrin seine engagierten Pamphlete verfasste, sah die französische Kolonialverwaltung die einzige Möglichkeit zwecks Erhaltung ihrer Macht in Mauretanien 1931 immer noch in der Allianz mit den Stämmen der Mauren, deren soziales System aber auf Ausbeutung und Sklaverei basierte.

Hierzu heißt es ganz klar im folgenden Ausschnitt über die Methoden der Kolonialverwaltung, um den sozialen „Frieden“ mit den Mauren zu gewährleisten:

« Dorénavant, la méthode politique de pénétration s’appuie sur l’utilisation à notre profit des chefs maures dont l’action servira à affermir la paix naissante. Les tribus sont groupées sous l’autorité de quelques grands chefs, investis par nous, après avoir été acceptés par les djemaas ». 

 

 

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Bild eines französischen Verwaltungspostens in Boutilimit 1934, wo gerade eine Karawane erwartet wird, aufgenommen von der französischen Reisenden Odette du Puigaudeau.

 

Und genau diese Allianz zwischen den französischen Kolonialherren und den weißen Mauren (Beydane) bedeutet die Verewigung der Kasten- und Sklavengesellschaft in Mauretanien durch die Kolonialmacht Frankreich, die Hunkanrin so stark kritisiert.

  

 

@ Ekrem Yolcu

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