Geschichte: West-Östliche Begegnungen

Über die historischen Beziehungen zwischen Muslimen und Deutschen

Wenn wir das Weltgeschehen betrachten, so scheint heute klar zu sein, daß der Islam in seiner ideologischen Darstellung durch die Medien den Kommunismus als Widerpart zur globalen Weltordnung ersetzt hat. Um so erstaunlicher ist es für den heutigen Deutschen zu erfahren, daß der Islam und die Muslime immer in fruchtbarem Kontakt zu den Deutschen standen. Zu Beginn müssen wir uns von der Vorstellung lösen, daß der Islam eine unter vielen Religionen und Kulturen sei, sondern uns bewußt werden, daß Allah durch Seinen letzten Gesandten Muhammad eine natürliche Lebensweise für den Menschen bestimmte, die für alle Zeiten, Orte und Kulturen gültig ist. Auch vor dem Propheten Muhammad hat es immer einzelne Männer oder Völker gegeben, die einer göttlichen Ordnung (Schari’a) folgten und dazu aufriefen. Dieser Sicht folgend, können wir in den deutschen Stämmen keine «barbarischen Germanen» sehen, sondern Menschen, die eine dem heutigen Islam ähnliche Ordnung hatten.´

Die Germanen vertrauten nicht wie die Römer auf ein zentral regiertes Imperium, sondern folgten, den Muslimen ähnlich, ihren Häuptlingen (Amiren), die aus keinem Erbadel stammten, sondern jedesmal aus und von der Elite erwählt wurden und genauso ihren Rang verlieren konnten. Auch bestand ihre frühe Verehrung des Göttlichen (Din) nicht in der Anbetung diverser Götzen. Sie sahen vielmehr in den einzelnen Kräften und Naturerscheinungen Eigenschaften des Göttlichen, analog zu den Namen Allahs, die für die Muslime Seine Eigenschaften beschreiben.

Dieser kurze Blick auf die frühgermanische Seinsweise zeigt, daß es in den Deutschen und den Muslimen gemeinsame Eigenschaften gab und gibt, die die wesensmäßige Verwandtschaft zwischen beiden erklären könnte.


Von der Kaiserpfalz zum Kaukasus
Die ersten bekannten Zusammentreffen zwischen den damaligen Franken und den Muslimen fanden während oder nach der Herrschaft Karls des Großen statt; und zwar als Gesandtschaften des abbasidischen Kalifats am Hofe der deutschen Kaiser. In den darauffolgenden Jahrhunderten gibt es Beweise (in Form schriftlicher Berichte der Reisenden) für die regelmäßige Anwesenheit muslimischer Kaufleute im fränkischen Reich, ihre Reisen führten sie sogar bis in die Wikinger-Siedlungen Skandinaviens (belegt durch Münzfunde). Mit der Zunahme der christlichen Kreuzzüge in Spanien und Syrien brachten die überlebenden adligen Kämpfer die höher stehenden Sitten und kulturellen Leistungen der Muslime nach Deutschland mit (Kleidung, Papier, Gewürze, Medizin etc.). Der Minnesang eines Walthers von der Vogelweide ist ohne die Liebeslyrik aus dem muslimischen Spanien nicht denkbar.

Im Süden Europas, dem staufisch-normannischen Sizilien, fand eine erstaunliche Symbiose zwischen den normannischen Herrschern und den ansässigen Muslimen statt, deren Krönung die Zeit Friedrichs des Zweiten von Hohenstaufen darstellte. Dieser staufisch-normannische Fürst, Erbe des deutschen Reiches und Süditaliens, verstand es, die Fesseln seiner christlichen Umgebung abzulegen und vorurteilslos mit den Muslimen zu leben (seine Leibwache bestand aus in Sizilien lebenden Muslimen, die er mit ihren Familien ins süditalienische Amalfi übersiedeln ließ), und er vertraute in Fragen der Herrschaft seinen muslimischen Beratern. Seine Persönlichkeit und seine Politik erklären die Feindschaft der Kurie und ihren damaligen Verbündeten, den Franzosen, die nach dem Tode Friedrichs seine Familie und die staufische Herrschaft im Reich und in Sizilien auslöschten.

Als die Muslime in Andalusien immer mehr an Boden verloren, und sich schließlich aus Europa zurückzogen, waren sie zur selben Zeit verantwortlich für die geistigen Grundlagen der Renaissance, indem sie nicht nur die Quellen des griechischen Denkens (Platon, Aristoteles u.ä.) retteten und verbreiteten, sondern auch einen eigenen Beitrag (Ibn Ruschd, Ibn Al-’Arabi, Ibn Khaldun u.v.m.) zur Wiederbelebung des seinsbezogenen Denkens leisteten.

Mit dem Gewinn des Kalifates durch die osmanischen Türken und ihrem Angriff auf die süddeutschen Gebiete sowie der darauffolgenden Konsolidierung der gemeinsamen Grenzen wurde für die Deutschen die Notwendigkeit geschaffen, sich mit dem Islam zu beschäftigen. Die erste Qur’an-Übertragung wurde schon Mitte des 17. Jh. geschrieben. Orientalisch gefärbte Romane und Reiseberichte kamen in Mode. Die Reichsstadt Frankfurt wurde zum Zentrum der deutsch-osmanischen Kontakte, denn dort siedelte sich die erste ständige osmanische Vertretung an; Frankfurt entwickelte sich zu Beginn den 18. Jh. ebenfalls zu einem Knotenpunkt des europäischen Orient-Handels.

Mit dem Gewinn des Kalifates durch die osmanischen Türken und ihrem Angriff auf die süddeutschen Gebiete sowie der darauffolgenden Konsolidierung der gemeinsamen Grenzen wurde für die Deutschen die Notwendigkeit geschaffen, sich mit dem Islam zu beschäftigen. Die erste Qur’an-Übertragung wurde schon Mitte des 17. Jh. geschrieben.

Orientalisch gefärbte Romane und Reiseberichte kamen in Mode. Die Reichsstadt Frankfurt wurde zum Zentrum der deutsch-osmanischen Kontakte, denn dort siedelte sich die erste ständige osmanische Vertretung an; Frankfurt entwickelte sich zu Beginn den 18. Jh. ebenfalls zu einem Knotenpunkt des europäischen Orient-Handels.

Durch die Entwicklung der festen deutschen Kleinstaaten (Absolutismus) und die Einführung regulärer Armeen standen auch einzelne muslimische Truppenteile im Dienste deutscher Fürsten, die diese Kämpfer als Geschenke muslimischer Herrscher erhielten. Friedrich der Große, König von Preußen, ließ für seine türkischen Regimenter die erste Moschee auf deutschem Boden errichten. Mit der Aufklärung und dem Verschwinden der christlichen Ideale in den gebildeten Eliten entstand ein geistiges Klima in Deutschland, welches die denkerische Auseinandersetzung mit dem Islam ermöglichte.

Am bekanntesten ist sicherlich Goethes «West-Östliche Divan», der eine tiefe Einsicht in Allah und Seinen Propheten Muhammad aufweist. In diesem Buch ehrt Goethe die muslimischen Dichter und stellt sie auf den selben Rang, den für ihn die Klassiker bzw. zeitgenössische Europäer einnahmen. Goethe äußerte sich auch an vielen anderen Stellen (siehe den «Eckermann») positiv über den Islam; am Ende seines Lebens sagte er von sich, daß er ebenfalls Muslim sei, wie er in seiner Ankündigung zum Divan vermerkt hat.

Zwischen der Romantisierung des islamischen Orients - in Malerei und Literatur - und seiner Verteufelung durch die christlichen Institutionen war es ein schmaler Grat für die Menschen des 19. Jh., die Wirklichkeit des Dins zu schauen. Nichtsdestotrotz schrieben viele andere Deutsche profunde über den Islam: Sehr bekannt ist die lyrische Übersetzung des Qur’ans durch Friedrich Rückert. Aber auch das Wissen Friedrich Nietzsches um das Ende des Christentums und dessen Gottesbildes ist ein Zeichen für das Verständnis für des Islams unter den Gebildeten Deutschlands.
Mit der Gründung des Norddeutschen Bundes, und seines Nachfolgers, des zweiten deutschen Kaiserreiches, gab es nach Jahrhunderten wieder die Chance einer einheitlichen Reichsaußenpolitik (-> Gründung des Auswärtigen Amtes, Berlin, Wilhemstraße) und somit für staatliche Beziehungen zwischen dem Kalifat und dem Reich. Da zu dieser Zeit die europäischen Kolonialmächte, allen voran Frankreich und England, begannen, die muslimischen Kernländer zu besetzen und zu versklaven (Annexion Ägyptens aufgrund der Verschuldung seiner Regierung bei den europäischen Bankdynastien Rothschild und Baring), bot sich Deutschland als Bündnispartner für die Muslime an, da es
a) keine Ambitionen in dieser Regionen hatte und
b) als Gegner Frankreichs und Rußlands der natürliche Verbündete des osmanischen Kalifates war.

Es entstanden die vielfältigsten Kontakte: so schickten die Türken Studenten an deutsche Universitäten und die Deutschen Militärberater, um die Armee des Sultans zu modernisieren. Am bekanntesten ist der Bau der Baghdad-Bahn durch deutsche Ingenieure, der den Westen der Türkei mit dem Irak verbinden sollte. Auf kultureller Ebene begannen die Verbindungen enger zu werden; z.B. finanzierte der Kalif Abdul-Hamid - der letzte starke Führer des osmanischen Reiches - den Bau von Wagners Festspielhaus in Bayreuth mit.Dieses Bündnis fand gleichzeitig seine Krönung und sein Ende im gemeinsamen Kampf beider Mächte während des ersten Weltkrieges. Die vereinigten Truppen konnten einen Landungsversuch der Alliierten auf die europäischen Gebiete der Türkei (-> Landung bei Gallipolli unter Leitung des See-Lords Churchill) abwehren und verteidigten bis zum Ende das anatolische Zentrum des Kalifats. Das Ergebnis dieses ersten modernen Krieges - modern sowohl im technischen als auch philosophischen Sinne - war der Untergang des Kalifats, und somit der Verlust jeglicher politischer Führung für die Muslime, was zur völligen Kolonisation des muslimischen Orients durch die imperialistischen Westmächte führte. Ähnliches spielte sich zu selben Zeit in Europa ab: Mit der Zerschlagung der preußischen bzw. habsburgischen Monarchien und ihrer territorialen Zersplitterung (-> aus zwei deutschen Staaten wurden acht Länder mit deutschem Bevölkerungsanteil konstruiert), verlor das deutsche Volk seine Macht und sein Ansehen, welches es vorher in Europa genoß. Ein letztes Aufflackern in den engen Bindungen zwischen Deutschen und Muslimen stellten die muslimischen Einheiten (Kaukasier, Bosnier und Araber) der deutschen Armee dar. Das Ende des II. Weltkrieges, d.h. die deutsche Niederlage (und das Ende des damals bekannten Deutschlands), bedeutet auch das Ende einer eigenständigen deutschen Außenpolitik. Aufgrund der zunehmenden globalen Vernetzung und der Machtverschiebung vom politisch/nationalen ins finanztechnisch/internationale ist der historische Endpunkt in den staatlichen Beziehungen zwischen Deutschen und Muslimen erreicht. (SW)

 

Quelle: Islamische Zeitung

 

@ Ekrem Yolcu

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