Donnerstag, 20. März
2003
"Think Tank"
Der Krieg aus der Denkfabrik
Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer war der erste, der
öffentlich erklärte, Saddam müsse nicht nur abrüsten, sondern auch
seinen Hut nehmen. Diese Forderung stieß zunächst weltweit auf
Kopfschütteln, weil sie durch keine der bisher zum Irak verabschiedeten
19 UN-Resolutionen gedeckt war.
Später wich das Kopfschütteln dann dem Begreifen der erstaunlichen Logik
hinter dieser Forderung. Um diese Logik besser zu verstehen zu können,
muss man sich die Pläne der geopolitischen Strategen ansehen, die heute
die Außenpolitik der USA maßgeblich bestimmen: Richard B. Cheney
(US-Vizepräsident), Lewis Libby (Cheneys Stabschef), Donald Rumsfeld
(US-Verteidigungsminister), Paul D. Wolfowitz (Rumsfelds Stellvertreter
und Bushs "Gehirn"), Peter W. Rodman (US-Beauftragter für
"internationale Sicherheitsangelegenheiten "), John Bolton
(Staatssekretär für Rüstungskontrolle), Richard Armitage
(Vize-Außenminister), Richard Perle (Chef des American Defense Policy
Board), William Kristol (PNAC-Vorsitzender, berät Bush) und Zalmay
Khalilzad (Bushs Sonderbeauftragter für den Kontakt zur irakischen
Opposition).
Hirngespinste intellektueller Außenseiter
Denn dass der Golfkrieg in Wahrheit der Ablösung des irakischen
Präsidenten Saddam Hussein dienen soll, steht für diese Gruppe schon
lange fest - nicht erst seit dem Politikwechsel in den Vereinigten
Staaten. Konzepte für eben diese Politik wurden bereits zu Beginn der
90er Jahre in ultrarechten "Think Tanks" entwickelt. Das sind
Denkfabriken, in denen kalte Krieger aus dem Dunstkreis von
Geheimdiensten, Sekten, Rüstungs- und Ölkonzernen gruselige Pläne für
eine neue Weltordnung schmiedeten. Das Völkerrecht soll durch das Recht
des Stärkeren ersetzt werden. Und die Vereinigten Staaten von Amerika
sind die Stärkeren.
Was auch immer aus diesen Think Tanks kam, fand seinen Weg in die
Öffentlichkeit. Fast alle Beiträge (Visionen) kann man im Internet
recherchieren. Lange Zeit wurden diese Planspiele als Hirngespinste
abgetan, die intellektuelle Außenseiter - unterstützt von Lobbyisten
-hinter den Rücken des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und seines
Stellvertreters Al Gore verfassten. Die Demokraten hatten für diese
Visionen kein rechtes Ohr. Stattdessen wurde im Weißen Haus vom Aufbau
einer internationalen Gerichtsbarkeit, Klimaschutz und
Rüstungsbegrenzung gesprochen.
Das Projekt "Neues Amerikanisches Jahrhundert"
Im Dunstkreis dieses liberalen Klimas blieb ein 1997 entwickeltes
Projekt nahezu unbemerkt: Das "Project for The New American Century" (PNAC).
Im Frühjahr 1998 forderte eben diese Projektgruppe Clinton zu einem
Sturz Saddams auf. Zudem sollte der Umgang mit den Vereinten Nationen
"neu geregelt" werden. In dem Papier heißt es: "Solange nicht klar ist,
ob Saddam über Massenvernichtungswaffen verfügt, droht Gefahr für die
USA (und andere Teile der Welt) und einen bedeutsamen Teil der
Welt-Ölvorräte. Das bedeutet, in kurzer Frist zur Durchführung einer
militärischen Aktion bereit zu sein, da die Diplomatie offenkundig
versagt hat. Langfristig bedeutet es, Saddam Hussein und sein Regime zu
entmachten ... Wir glauben, dass die Vereinigten Staaten unter den
bereits bestehenden UN-Resolutionen das Recht haben, die nötigen
Schritte, einschließlich militärischer, zu unternehmen, um unsere
Interessen im Golf zu sichern. Auf keinen Fall darf sich die
amerikanische Politik länger durch das fehlgeleitete Beharren des
UN-Sicherheitsrats auf Einstimmigkeit lähmen lassen. "
Und unterschrieben war dieser Brief unter anderen von zehn
PNAC-Mitgliedern, die schon oben erwähnt wurden: Cheney, Libby, Rumsfeld,
Wolfowitz, Rodman, Bolton, Armitage, Perle, Kristol, Khalilzad. Zwei
Hardliner aus diesem erlauchten Kreis hatten bereits Jahre zuvor für
einen internationalen Eklat gesorgt, als eine von ihnen entworfene
"verteidigungspolitische Planungsvorgabe" an die Öffentlichkeit
gelangte. Verfasser des "Defense Planning Guidance" waren die heutigen
Kabinettsmitglieder Wolfowitz und Libby.
Der "Masterplan" für den Krieg
Die Wolfowitz-Libby-Vorschläge liefen darauf hinaus, eine neue
Globalstrategie zu implementieren. Schließlich waren den USA die
Abschreckungsdoktrin des Kalten Krieges abhanden gekommen. Ziel war
also, die dauerhafte Erhaltung der Supermacht-Position der USA -
weltweit. Notwendig sei vor allem eine stabile amerikanische
Vormachtstellung in Eurasien. Ein Land, das mit militärischem Nachdruck
die Interessen der USA bedrohe, müsse mit Präventivangriffen rechnen,
heißt es.
Im September 2000 schloss die PNAC die Arbeit an ihrem "Masterplan" ab.
Auch dort hatte sich die Studie im Auftrag der eingangs genannten
Persönlichkeiten der Frage gewidmet, wie die internationale
Sicherheitsordnung gemäß amerikanischen Interessen gestaltet werden
kann. Unter anderem müssten die USA durch eine gewaltige Aufstockung
ihres Rüstungsetats und den Aufbau eines länderübergreifenden
Raketenschirms in die Lage versetzt werden, "zahlreiche größere Kriege
gleichzeitig durchkämpfen und für sich entscheiden" zu können. Auf jeden
Fall gehöre die Golfregion unter US-Kontrolle, heißt es in dem
PNAC-Papier. Weiter kann man auch im Internet dazu lesen: "Die
Vereinigten Staaten haben seit Jahren versucht, eine dauerhaftere Rolle
am Golf zu spielen. Der ungelöste Irak-Konflikt liefert zwar die
unmittelbare Begründung dafür, die Präsenz einer substantiellen
amerikanischen Streitmacht am Golf ist aber ganz unabhängig von der
Frage des Saddam-Hussein-Regimes nötig."
Paul D. Wolfowitz, stellvertretender
US-Verteidigungsminister und Vordenker der neuen amerikanischen
Kriegspolitik
Die Operation kann beginnen
Kaum hatte George W. Bush nach seinem umstrittenen Wahlsieg die
Clinton-Administration abgelöst, hievte er die Hardliner von der PNAC in
seine Regierung. Mit atemberaubendem Tempo setzten die neuen Herren die
PNAC-Strategie um. Bush kündigte reihenweise internationale Verträge aus
der Clinton-Ära und brüskierte die UN. Und als nach den Anschlägen vom
11. September 2001 die Angst in Amerika regierte und im Land
Milzbrandbriefe kursierten, war aus Sicht der Bush-Anhänger die Zeit
reif, auch die alten Irak-Pläne aus der PNAC-Schublade zu holen.
Bereits sechs Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center
unterzeichnete Bush einen Exekutivbefehl, in dem er nicht nur Order gab,
einen Krieg gegen das Terrornetzwerk El Kaida und gegen die Taliban
vorzubereiten. Ein zunächst geheim gehaltener zweiter Absatz befahl den
Militärs, Szenarien für einen Irakkrieg zu erarbeiten. Und noch immer
glaubt die Mehrheit der amerikanischen Öffentlichkeit, dass die
Attentäter des 11. September Iraker gewesen seien.
Vieles spricht dafür, dass Bush nach dem Sturz Saddams den gesamten
Nahen Osten verstärkt dem Wirtschaftseinfluss der USA unterwerfen will.
Bush formuliert es freilich anders: Der notfalls unter Bruch des
Völkerrechts zu besetzende Irak solle künftig "als dramatisches und
leuchtendes Beispiel der Freiheit für andere Nationen der Region dienen
". Und so ist dann auch der Name des dritten Golfkrieges: "Operation
irakische Freiheit".
Peter Poprawa
Adresse:
http://www.n-tv.de/3147543.html
|