Tschetschenien


Seine Bedeutung für das Politische

Mit dem Besuch des BND-Chefs, August Hanning, in Gudermes Ende März ist die Tschetschenien-Politk Deutschlands endgültig in ein neues Licht geraten. Dem windigen Geheimdienstmann ist als einziger Europäer die zweifelhafte Ehre zugekommen, die brutale russische Militäroperation im Kaukasus aus der Nähe zu beobachten. In Deutschland hat es angeblich keiner gewußt. Der abgründige Inhalt der Mission ergibt sich schon aus dem Fakt, daß naturgemäß dem Kriegstreiben in Tschetschenien nur äußerst förderliche Kräfte beiwohnen dürfen. Gastgeber der deutschen Delegation war offenbar der russische Geheimdienst.
Ein offensichtlich noch ehrenwerter Geheimdienstpartner für den BND. Damit dies so bleibt, hat man wenig geheimdienstliches Interesse an der Aufklärung der Vorwürfe, ob der russische Geheimdienst die Anschläge in Moskau selbst inszeniert habe. Wen wundert es daher, daß der BND darüber natürlich keine Erkenntnisse beizutragen hat und daher recht unbeschwert mit dem russischen Geheimdienst kooperiert. Zur Legitimation des Völkermordes im Kaukasus genügt für den BND offensichtlich schon der Verdacht, es gebe dort auch terroristische Aktivitäten. Hierher gehört auch die denkwürdige Allianz zwischen dem chinesischen und deutschen Geheimdienst in Zentralasien. Inzwischen wurde gegen den Geheimdienstmann Anzeige wegen Beihilfe zum Völkermord erstattet.
Auch der Einfluß Deutschlands auf die EU gerät in ein zweifelhaftes Licht. Die Europäische Union will - mit Nachdruck Deutschlands - keine internationale sondern nur eine nationale Untersuchungskommission für Vorfälle in Tschetschenien. Das heißt in praktischer Diplomatensprache: man will überhaupt keine Untersuchungen der Vorgaänge im Kaukasus. Im Ergebnis bedeckt Deutschland den Genozid im Kaukasus. Der späte Besuch der EU Menschenrechtsbeauftragten Robertson wirkt unter diesen Umständen wie ein dunkles Ritual: nach dem Schrecken folgt die amtliche Feststellung, daß es wirklich furchtbar war.
Mit ganz anderem Engagement und moralischer Entrüstung behandelt die EU weiterhin Österreich. Der Provinzpolitiker Haider ist willkommene Gelegeneheit zur traurigen moralischen Dialektik und geistigen Sinnstiftung Europas beizutragen. Trotz Bosnien, trotz des Kosovos, trotz Tschetscheniens - solange man "gegen" den Österreicher ist - so die EU-Ethik - ist Europa immer noch und ewig auf der moralisch guten Seite. Seit dem zweiten Weltkrieg retten sich die Industrienationen so immer krampfhafter über die von Ihnen mitverursachten Regionalkriege, Hunger und Armut hinweg.
Was tun die Parlamentarier? Sie debatieren im Moment mit großen und im Angesicht menschlicher Katastrophen hilflos wirkenden Gesten den Tierschutz. Die menschenverachtende Politik Russlands bleibt weitestgehend unkommentiert. Transparente Instrumente zur Kontrolle der supranationalen Organisationen haben sie sowieso nicht. Man muß daher
möglichst nüchtern die neue pragmatische Qualität der politischen Situation analysieren. Das Beispiel Tschetscheniens zeigt, will man die Politik Deutschlands analysieren und verstehen, so muß man trennen zwischen der politischen Rhetorik des Parlamentes um "Menschenrechte" und der faktischen Politik von BND, NATO und IMF. Diese unabhängigen Organe sind von parlamentarischer Kontrolle inzwischen weitestgehend unabhängig. Die Entpolitisierung der nationalen Parlamente geht geräuschlos und zielsicher voran.

Quelle: Islamische Zeitung, 38. Ausgabe

@ Ekrem Yolcu

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