Kommentar: Polemik made in München

Äußerungen von CSU-Kanzlerkandidat Stoiber und die etwas andere Art "Ausländer raus" zu sagen. Was steckt hinter der Agressivität der CSU ?

Es sei gleich vorausgeschickt: Man kann die IGMG mögen oder nicht, ablehnen, kritisieren. Ob man die IGMG verbieten muss oder nicht ist eine Frage die letztendlich durch die Justiz beantwortet werden muß. Die Meinungen der Muslime über die Zukunftsfähigkeit der IGMG, ihre Verbindungen zu Holdings und Parteien, sind in Deutschland durchaus gespalten. Aber die bedrohlichen Äußerungen von Kanzlerkandidat Stoiber nach der Wahl, sozusagen jedes der 27.OOO IGMG Mitglieder wegen einer einfachen Mitgliedschaft aus dem Land zu werfen, sind nicht nur jenseits der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch einigermaßen infam. Solidarität gegenüber den Mitgliedern der IGMG ist in einem solchen Falle selbstverständlich.

Bei aller verständlichen Aufregung sollte man allerdings auch die Hintergründe des christlich-sozialen Sinneswandels gegenüber dem Islam türkischer Prägung aufhellen. Natürlich weiß auch die CSU, insbesondere der kluge und auch bei Muslimen durchaus beliebte Innenminister Beckstein, dass die IGMG kein homogenes Gebilde darstellt. Die Mitglieder sind inzwischen zumindest in zwei Flügel gespalten: in den liberalen Erdogan-Flügel und den konservativen Erbakan-Flügel. Darüberhinaus sind tausende der jungen Mitglieder sozial engagiert, integriert und als junge europäische Muslime oft "demokratischer" als viele ihrer gleichaltrigen, nicht organisierten Jugendlichen.

Ironischerweise ist die neue Partei Tayyib Erdogans in der Türkei - wenn auch vom Militär ungeliebt - eindeutig demokratisch orientiert und weit pro-europäischer als die rechts-nationale Teile der aktuellen Regierung. Als konservativ und wertorientierte, reformwillige und sich gleichzeitig als technologiefreundlich verstehende Organisation kommt die Partei des ehemaligen Istanbuler Bürgermeisters recht nahe an die Philosophie der CSU. Erdogans Politik erhöht auch den Reformdruck auf die deutsche IGMG. Warum also die auffallend agressive und wenig differenzierte Haltung der CSU und Stoiber gegen die IGMG ?

Dafür gibt es zwei einleuchtende Gründe. CSU-Chef Stoiber ist sich sicher, dass er die Wahlen im September 2002 nur in der Mitte gewinnen werden kann - demzufolge ist er bemüht aus dem Kräftemessen mit der Regierung keine links-rechts Konfrontation werden zu lassen. Da sind rechte Sprüche, die sonst die konservativen CSU-Mitglieder bei der Stange halten eher problematisch. Mit der Attacke gegen die IGMG kann Stoiber aber in einer - leider- akzeptierten Art und Weise auch "Ausländer raus"-Stimmungen aufnehmen. "IGMG-Mitglieder raus" hört sich doch schon viel besser an. Nach dem Fischzug des FDP-Politikers Möllemann auf konservative Wähler kann Stoiber auf einige Sprüche an den rechten Rand der Partei nicht mehr verzichten. Genau für diese Strategie kommt die IGMG mit ihren "Türken" gerade recht.

Der zweite Grund hat mit dem weiteren bayrischen und Münchner Umfeld der CSU zu tun. Nötig ist ein Rückblick auf die Zeit unmittelbar nach dem 11. September. Vor dem 11. September hatte die CSU regelmäßigen Austausch mit der IGMG Bayerns, in dem die CSU ein natürliches Wählerpotential sah. Das ändert sich nach dem 11. September 2001 radikal und ist gut organisiert. Instrumente gibt es viele. Ganz München ist fest in CSU Hand. Der Verfassungschutz konnte schnell und pauschal berichten es hätte in der Münchner IGMG-Moschee Sympathie für die Verbrechen in New York gegeben. Solche Äußerungen in einer Moschee mit täglich hunderten Besuchern sind sehr schwer zu beweisen. Für Tausende IGMG Mitglieder und ihr soziales Umfeld natürlich eine fatale Stellungnahme.

Die CSU hat natürlich auch einen Draht zu willigen Medien. Vorallem der mit CSU-Leuten gut bestückte Bayerische Rundfunk schoss nun plötzlich scharf. Allen voran der BR-stellvertretende Chefredakteur Andreas Bönte, im Ausnahmefall auch mal eine Art Regierungssprecher, und seine Report München Redaktion. Bönte präsentierte mit ernster Miene das düstere Drehbuch: IGMG, Islamrat und Bin Ladin sollten möglichst in einem Atemzug über den Sender gehen. Ein Beitrag, intentional gegen den Islamrat gerichtet, begann mit zur Einstimmung mit der ernst gestellten Frage ob Bin Ladin schon die "Atombombe" habe. Soviel zur journalistischen Qualität. Die Zuschauer sollten durch diese schnellen Assoziationsketten die, mit Verlaub unterschiedliche Natur der Institutionen, kaum mehr wahrnehmen können.


Auffallend war auch, dass in diesen Tagen immer wieder Münchner Beiträge der Reportredaktion gegen türkische Muslime mit der Einleitung "wie uns die Dienste sagen" begannen. Mit den einigermaßen unredlichen Sequenzen wurde jedenfalls an diesem abstrusen Zusammenhang "türkischer Islam und New York" medienwirksam und erfolgreich gefeilt. Teil der Strategie ist auch Bin Ladin und die IGMG-Mitglieder unter dem Titel "Islamist" populistisch zusammenzufassen. Demagogie als Kunst der Vereinfachung. Auf diesen in Bayern seit Monaten aufgebauten, angeblichen Zusammenhang und seine emotionale Wirkung im einfachen Volk setzte auch der CSU-Kanzlerkandidat mit seinen jüngsten polemischen Äußerungen. Sie sind keine zufälligen Wahlkampfausbrecher.

Fakt ist aber - wiederum angemerkt, dass man über die Segnungen der IGMG durchaus geteilter Meinung sein kann - dass aber eine Nähe der IGMG zur al-Kaida oder zur Gewalt eine falsche und natürlich nach Meinung vieler Verfassungsschützler auch abenteuerliche Konstruktion darstellt. Bis heute laufen die CSU-Aktionen gegen die IGMG aber unter dem nicht nur polemischen, sondern auch in seinen sozialen Wirkungen für die Mitglieder harten Stichwort "Terrorismusbekämpfung". Viele Mitglieder der IGMG haben unter diesem enormen Verfolgungsdruck die IGMG verlassen.
Viele deutsche Bürger kennen einen weiteren Hintergrund nicht: Die IGMG-Mitglieder waren und sind das finanzielle Rückrat der islamischen Oppositionsparteien in der Türkei. Die IGMG-Mitglieder sind daher für das türkische Establishment und auch für militärische Kreise ein rotes Tuch. Türkische Geheimdienste agieren auch in den Medien gegen die IGMG. Man kann nun argumentieren oder streiten - insoweit die kontroverse Debatte - die IGMG-Mitglieder unterstützen, je nach Sicht, demokratische oder undemokratische Parteien in der Türkei. Man muß aber diesen Umstand zumindest kennen, um sich eine eigene Meinung über die Attacken aus München zu bilden.

"Eine Absprache zwischen Ankara und München in diesem günstigen Moment gegen die IGMG vorzugehen scheint es hinter den Kulissen gegeben zu haben" mutmaßt zumindest ein Funktionär der IGMG aus München. "Nach dem Verbot der demokratisch-islamischen Parteien in der Türkei soll nun auch die IGMG verboten werden" fasst er die Stimmung vieler Mitglieder zusammen. Also, was er meint ist: Ankara, nicht New York ist das Thema der CSU. So gesehen ist es natürlich auch kein Zufall, dass Innenminister Beckstein nun ausgerechnet die aus Ankara autoritär gesteuerte DITIB-Vereinigung als "Modellgemeinde" des guten Islam umarmt.

Für die CSU ist Außen- und Innenpolitik vor allem Wirtschaftspolitik. Hierzu passt auch, dass die CSU seit ihrem CSU-Ministerpräsidenten Strauß traditionell recht innig mit der deutschen Rüstungslobby verbunden ist. Dieser Umstand ist auch durch das CSU-Mitglied Schreiber (Panzergeschäfte) einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewußtsein gerückt. Vielleicht deswegen keine Kritik der in der Terrorismusbekämpfung engagierten CSU-Führung an Saudi-Arabien ?

Wie wohl keine andere Partei hat die CSU Bayern in der Hand. Interessengeflechte sind kaum mehr zu durchschauen, die CSU ist stolz auf ihre Nähe zur Industrie. Es ist auch kein Geheimnis dass einige bayerische Unternehmen, wie die MAN, in der Türkei aktuelle, strategische Ziele verfolgen. So kommt es schon einmal vor, dass auf einem CSU Parteitag über die Gefahr Islamismus einige Rüstungsfirmen im Foyer des Parteitages ihre Produkte ausstellen, während der Islamwissenschaftler Steinbach die CSU erfolglos aufforderte im Falle der IGMG stärker zu differenzieren.

Fassen wir also nochmals zusammen. Es lohnt auch über die Hintergründe der Stoiber Äußerungen weiter nachzusinnen. Und - auch das sei klargestellt, wenn der bayerische Verfassungschutz tatsächlich Umstände beweisen kann, dass die IGMG verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, dann muß man eben den Verbotsantrag stellen. Wenn schon, dann ist Handeln und nicht Polemik gefragt. Bis zu diesem Zeitpunkt entspräche es demokratischen Verständnis und Verantwortung solche pauschalierende Redebeiträge gegen eine Minderheit öffentlich zu verurteilen. Hierzu muss die CSU aufgefordert werden. Das ist übrigens auch in ihrem Interesse: denn die tausende zahlungskräftigen arabischen Geschäftsleute, die München jeden Sommer besuchen sind über das gestörte Verhältnis der CSU zum Islam gut informiert. Einige bleiben schon zu Hause. Die CSU muss aufpassen, dass auch bald keiner mehr BMW fährt - und sich mit BMW anlegen ist auch für die CSU nicht ohne.

Quelle: Islamische Zeitung

@ Ekrem Yolcu

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