(ips)Im Libanon wächst die Sorge der
Menschen vor einem Übergreifen der Krise im Nahen Osten auf ihr eignes Land. Während
sich in der übrigen arabischen Welt die Rufe nach einem Waffengang gegen den Erzfeind
Israel häufen, schauen viele Libanesen mit Sorge auf die angespannte Lage an der Grenze
und fürchten neues Blutvergießen im eigenen Land. In der vergangenen Woche
demonstrierten Tausende, Christen und Muslime Seite an Seite vor der festungsartigen
US-Botschaft in Beirut und forderten einen sofortigen Rückzug der israelischen Armee aus
dem Westjordanland. Nur den wenigsten unter ihnen steht jedoch der Sinn nach einem
Wiederaufflammen der Gewalt, von der sich das nahöstliche Land auch elf Jahre nach Ende
des Bürgerkriegs nur mühsam erholt.
Angesichts der zurückhaltenden Reaktionen der Regierungen der anderen arabischen Nachbarn
Israels fürchten viele Libanesen, sie könnten am Ende die Zeche zahlen, sollte die Lage
weiter eskalieren. Seit der vergangenen Woche häufen sich an der libanesisch-israelischen
Grenze, besonders im Südosten nahe der kleinen Shebaa Farms genannten Enklave, die
Scharmützel zwischen Einheiten der Hisbollah-Milizen und der israelischen Armee. Israel
kündigte im Falle weiterer Attacken bereits scharfe Vergeltungsmaßnahmen an.
Erst im September 2000 hatte sich die israelische Armee nach 22 Jahren Besatzung aus der
sogenannten Sicherheitszone im Süden Libanons zurückgezogen. Seitdem kontrollieren die
islamischen Hisbollah die Grenzregion, in der sich mehrere Hundert ihrer Kämpfer
eingegraben haben.
Die Situation in den palästinischen Gebieten sei moralisch nicht zu akzeptieren und
führe in eine Katastrophe, nicht nur in Palästina, sondern in der ganzen Region, warnte
Simon Karam, ein Anwalt und früherer Botschafter Libanons in Washington. Trotzdem sei
sein Land weder Willens noch in der Lage, die Last eines Krieges mit Israel auf sich zu
nehmen. Wenn Libanon erneut zum Frontstaat werden solle, dann nur als Teil einer
gemeinsamen politischen und militärischen Strategie mit den anderen arabischen Nachbarn
Israels.
Weder mit Ägypten noch mit Jordanien scheint ein Krieg derzeit wahrscheinlich. Beide
hatten bereits vor geraumer Zeit Friedensverträge mit Israel unterzeichnet, und trotz
diplomatischer Spannungen verhalten sich die Regierungen in Kairo und Amman bislang
vorsichtig abwartend. Auch an den Golanhöhen, der Grenze Syriens mit Israel, ist es schon
seit 1974 weitgehend ruhig.
Die Demonstrationen in Ägypten seien beispielsweise von sehr konkreten politischen
Forderungen nach einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und einer Ausweisung des
israelischen Botschafters gekennzeichnet gewesen, erläutert Chibli Mallat, ein Professor
für internationales Recht an der St. Joseph University in Beirut.
Für den Libanon, der keine diplomatischen, wirtschaftlichen oder politischen Beziehungen
zu Israel unterhält, sei kein Spielraum für eine stufenweise Eskalation vorhanden. Der
nächste Schritt einer Eskalation sei Krieg, warnte er. |
Die libanesische Regierung ist derweil
entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen. Die Regierung unternehme alle notwendigen
Maßnahmen, um die Situation unter Kontrollen zu halten, erklärte der libanesische
Verteidigungsminister Khalil Hrawi.
Trotzdem zerren die gegenseitigen Nadelstiche an der Grenze im Süden an den Nerven der
Libanesen. Nachdem sich die Angriffe der Hisbollah in den letzten Tage massiv verstärkt
hatten, warnten UN-Sprecher im Libanon bereits, eine weitere Verschlechterung der
Situation an der Grenze könnte die ganze Region in einen Krieg stürzen.
Er sei zutiefst besorgt über das sprunghafte Ansteigen der Gewalt,
erklärte Staffan de Mistura, der ranghöchste UN-Mitarbeiter im Libanon. Insbesondere in
einem so explosiven Umfeld seien diese Aktivitäten hochgefährlich.
Hisbollah hat sich offensichtlich auf die Möglichkeit einer Konfrontation vorbereitet.
Nach Angaben gut informierter Quellen im Südlibanon lagert die islamische Miliz seit
geraumer Zeit Waffen und Munition ein und bereitet Strategien für eine mögliche
Auseinandersetzung mit der israelischen Armee vor.
Während Hisbollah dabei mit weitgehender Billigung der libanesischen Regierung agiert,
fürchtet der Libanon vor allem eine unkontrollierte Eskalation durch palästinensische
Splittergruppen.
Insgesamt leben im Libanon schätzungsweise 350.000 Palästinenser, die meisten von ihnen
in Flüchtlingslagern. In den vergangenen Wochen und Monaten der Intifada war es immer
wieder zu emotionalen Ausbrüchen und Demonstrationen gekommen. Seit letzter Woche werden
Verzweiflung und Wut immer größer.
Viele der Palästinenser in den Lagern würden den Kampf gegen Israel lieber heute als
morgen aufnehmen, erklärt einer von ihnen. "Wir fühlen uns hilflos und verzweifelt,
wir wollen helfen und wissen nicht wie." Seit in der vergangenen Woche dreimal
maskierte Unbekannte israelische Ziele an der Grenze mit Maschinengewehren und
Raketenwerfern beschossen, hat die libanesische Armee ihre Präsenz an der Grenze
verstärkt und sechs bewaffnete Palästinenser verhaftet.
"Es sind unsere Familien und Freunde, die von den Israelis getötet werden, erklärt
ein verzweifelter Bewohner des Lagers von Sabra und Schatila, das 1982 selbst Schauplatz
eines Massakers gewesen war, bei dem mindestens 1.000 Flüchtlinge dahingeschlachtet
wurden. Eine israelische Untersuchungskommission hatte im Nachfeld festgestellt, dass den
damaligen israelischen Verteidigungsminister Ariel Scharon, persönliche Verantwortung
für das Blutbad treffe.
Quelle: Islamische Zeitung
@ Ekrem Yolcu |