Palästina: Verworrene Lage

Israelische Truppen brechen Widerstand in Dschenin - hunderte Tote. Außenminister Powell erwartet

israel.jpg (4061 Byte)(dpa) Weiter verworrene Lage und widersprüchliche Berichte von den Kriegsparteien über die Lage in Palästina. Nur kurz vor dem Eintreffen von US-Außenminister Colin Powell in Israel haben die israelischen Truppen den Widerstand in Dschenin endgültig gebrochen und zwei weitere Orte im Westjordanland besetzt. Gleichzeitig zogen sie sich am Donnerstag, zwei Wochen nach Beginn ihrer Offensive, aus 24 Dörfern zurück. Gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen Israel: Augenzeugen und palästinensische Menschenrechtler warfen den Soldaten gezielte Exekutionen und die Aushebung eines Massengrabs vor. Die israelische Armee dementierte dies allerdings. Zudem spitzt sich die humanitäre Lage weiter zu. Nach Angaben des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) sind in der Gegend von Dschenin 3000 palästinensische Frauen und Kinder obdachlos.

Auf ein Ende der Kämpfe besteht wenig Aussicht. Ministerpräsident Ariel Scharon bekräftigte, die Armee werde nur dort abziehen, «wo sie ihre Aufgabe erfüllt» habe. Sonst müssten die Soldaten später erneut einmarschieren. Nach dem Rückzug der Truppen solle eine fünf Kilometer breite Pufferzone das Westjordanland von Israel trennen, sagte er nach israelischen Rundfunkangaben.

Kaum Hoffnung besteht bezüglich des US-Vermittlungsversuch. Powell will Scharon am Freitag treffen. Nach Medienberichten wird er dabei auch die Frage einer internationalen Beobachtertruppe anschneiden. Kabinettssekretär Gideon Saar bekräftigte im Armeesender, dass Israel die Entsendung internationaler Beobachter ablehne.

Der US-Außenminister bestand erneut darauf, am Samstag den in Ramallah eingeschlossenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat zu sprechen. Vor seinem Abflug aus Madrid sagte er am Donnerstag, die israelische Offensive werde nicht zu einem Ende der Selbstmordanschläge führen. «Der einzige Ausweg sind Verhandlungen, um Vertrauen auf beiden Seiten zu schaffen», sagte er.

Am Mittag hatten sich die letzten rund 50 palästinensischen Kämpfer im Flüchtlingslager von Dschenin ergeben, die meisten davon Mitglieder der islamistischen Organisation Dschihad und der «Al Aksa Brigaden», einem bewaffneten Arm von Arafats Fatah-Bewegung.

Die Palästinensische Gesellschaft zum Schutz der Menschenrechte und Umwelt berichtete, mehrere Palästinenser, die sich in Dschenin ergeben wollten, seien erschossen worden. Außerdem habe die Armee Leichen in ein Massengrab geworfen. Ein Armeesprecher dementierte
dies. Die Soldaten hätten das Rote Kreuz und den Roten Halbmond gebeten, die Leichen zu bergen, doch diese hätten sich geweigert. Dies bestritt ein Sprecher des Roten Kreuzes in Tel Aviv. Die israelische Armee wolle die Sicherheit der Sanitäter nicht garantieren.

Bewohner Dschenins berichteten nach Angaben der Menschenrechtsorganisation, israelische Bulldozer seien beim Niederwalzen von Häusern auch über Menschen gerollt. Andere sagten,
Zivilisten seien erschossen und ohne Kleider aufgefunden worden. Nach Armee-Angaben sind im Flüchtlingslager Dschenin mehr als hundert Palästinenser getötet worden.

Der Direktor der Krankenhäuser im Westjordanland, Musa Abuchmeid, sagte der dpa, er habe die Namen von 210 Palästinensern, die seit Beginn der Militäraktion am 29. März im Westjordanland getötet wurden und 600 Namen von Verletzten. Die tatsächliche Zahl liege vermutlich weit höher. Nach seinen Schätzungen sind in Dschenin bis zu 400 Palästinenser getötet worden, 75 in Nablus und 42 in Ramallah. Auf israelischer Seite starben bisher 30 Soldaten, 23 davon in Dschenin.

Im Dorf Arabe bei Dschenin wurden am Donnerstag sechs Palästinenser getötet, davon drei Zivilisten. In Hebron starb ein Palästinenser in seinem Auto bei der versehentlichen Explosion seines Sprengstoffgürtels. Dabei wurden Passanten verletzt. In der Stadt Bir
Zeit bei Ramallah verwüsteten einrückende Soldaten nach palästinensischen Angaben die Polizeistation und mehrere Büros der Universität und nahmen Studenten fest. Auch in Daharia bei Hebron marschierten die Truppen ein.

Kämpfe gingen auch in Bethlehem und Nablus weiter. Seit acht Tagen können die Bewohner von Nablus ihre Häuser nicht verlassen und Lebensmittel beschaffen. Es gibt weder Strom noch Wasser. Der Beschuss aus der Luft und von Panzern sei fast ununterbrochen,
berichtete ein Mitarbeiter des Rathauses der dpa. «Teile der historischen Altstadt sind verschwunden», sagte er. Nach Armee-Angaben fanden die Soldaten dort wie in Dschenin zahlreiche Sprengstoff-Labors.

Aus Bethlehem wurden Schießereien um die Geburtskirche berichtet. Die Armee dementierte Darstellungen, Soldaten hätten auf dem Dach der Kirche Position bezogen. In dem Gebäude haben sich rund 200 zum Teil bewaffnete Palästinenser mit Zivilisten und Geistlichen verschanzt. Die eingeschlossenen Franziskaner baten in einem dramatischen Telefonappell EU-Kommissionspräsident Romano Prodi um Hilfe.

Quelle: Islamische Zeitung

@ Ekrem Yolcu

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